Das Physikwissen österreichischer Maturantinnen
Eine Analyse der Ergebnisse der TIMS-Studie aus geschlechtsspezifischer Perspektive
Helga Stadler


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Kapitel 4

Geschlechtssensibler Unterricht

Kurzdarstellung von Reformansätzen zum naturwissenschaftlichen Unterricht in Österreich


In Österreich ist die Situation vergleichbar mit jener in Deutschland oder der Schweiz. Auch in Österreich werden Physik und Technik von den Mädchen schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt abgewählt: Im naturwissenschaftlichen Realgymnasium ist das Verhältnis Mädchen zu Buben eins zu zwei, der Mädchenanteil an den Höheren Technischen Lehranstalten (HTL) liegt in den wichtigen Bereichen Elektrotechnik und Maschinenbau unter 5%, der Frauenanteil jener, die Physik studieren, liegt unter 20%; in den technischen Fächern sind Frauen sowohl an den Universitäten als auch an den Fachhochschulen eine verschwindende Minderheit.

Grafik 1:
Schülerinnen und Schüler in den 3. Und 4. Klassen der AHS im Schuljahr 1997/98 (ohne Berücksichtigung von Sonderformen)


Grafik 2:
Bestandene Reifeprüfungen der Jahrgänge 1996 und 1997 an AHS und BHS [1]


Grafik 3:
Anteil der männlichen und weiblichen in- und ausländischen ordentlichen Hörer in Prozentanteilen


Grafik 4:
Anteil der männlichen und weiblichen in- und ausländischen ordentlichen Hörern an der Gesamthörerschaft an österreichischen Universitäten WS 1997/98


In einem OECD Bericht [2] wird festgestellt, dass der Frauenanteil unter den graduierten Akademikern in den Bereichen Physik und Technik in Österreich außergewöhnlich gering ist. Was die Ursachenforschung betrifft, gibt es in Österreich - von einigen wenigen Einzeluntersuchungen abgesehen - keine umfassenden Studien. Es darf angenommen werden, dass ähnliche Faktoren auszumachen sind, wie in den umliegenden deutschsprachigen Ländern (die Verhältnisse in Italien oder in Ungarn sind, was die Distanz der Frauen zu Physik und Technik betrifft, wesentlich günstiger!). Für die Umsetzung der Maßnahmen wäre es allerdings von zentraler Bedeutung, über ein genaueres Bild der besonderen Gegebenheiten in Österreich zu verfügen. Was Maßnahmen betrifft, so lässt sich im Vergleich etwa mit Großbritannien oder Deutschland feststellen, dass es sowohl in den Ministerien, aber auch in verschiedenen Gruppierungen eine Reihe engagierter Frauen gibt, aber sowohl das personelle als auch das finanzielle Pouvoir vergleichsweise gering ist.

Für die nachfolgende Beschreibung verschiedener Projekte und Aktionen habe ich jene ausgewählt, die mir für die österreichische Szene typisch und richtungsweisend erscheinen und in einem (weiteren oder engeren) Zusammenhang mit naturwissenschaftlichem Unterricht an Schulen stehen. Grundlage für die Auswahl sind die in Top 4 genannten Richtlinien, insbesondere der Umstand, dass Erfolg versprechende Maßnahmen zur Erhöhung des Interesses und der Leistungsbereitschaft von Schülerinnen am Unterrichtsgegenstand Physik (und Technik) nicht alleine im Fachunterricht zu setzen sind, sondern das gesamte Umfeld, insbesondere aber berufliche und private Perspektiven der Heranwachsenden miteinschließen müssen.

Der Aktionsplan 2000 wurde 1997 der Öffentlichkeit vorgestellt. Er beinhaltet ein Maßnahmenpaket zur Förderung der Gleichstellung von Frauen im Bereich von Schule und Erwachsenenbildung, das bis zum Jahr 2000 umgesetzt werden soll. Der Schwerpunkt des Aktionsplanes 2000 liegt in der Erweiterung der Berufs- und Lebensperspektiven von Mädchen und Buben. Für die Fragestellung Zugang von Mädchen zu naturwissenschaftlicher Bildung erscheinen folgende Maßnahmen von Bedeutung:

Zur Realisierung der genannten Ziele wurden von Seiten des Unterrichtsministeriums eine Reihe von Aktionen gestartet, z.T. auch bereits vorhandene Aktivitäten weiter ausgebaut. Die nachfolgende Auswahl soll einen Einblick in die Strategie dieser Vorhaben geben.

 

MIT - Mädchen und Frauen in die Technik. Im Zuge der Umsetzung des Aktionsplans 2000 wurden zu Beginn des Sommersemesters 1998 alle mittleren und höheren technischen Schulen eingeladen, an der Aktion MIT teilzunehmen. In einer vom BMUK in Auftrag gegebene Studie zur Situation von Schülerinnen an Höheren Technischen Lehranstalten, deren Ziel es war, wurde ausgehend von einer Ist-Erhebung einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, dessen Ziel es war, einerseits Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Schülerinnen an den Schulen vorzuschlagen, andererseits den Frauenanteil an diesen Schulen zu erhöhen [3]. Im Rahmen von MIT werden u. a. Besuchsprogramme an HTLs organisiert, wo die Mädchen Gelegenheit haben, Schülerinnen dieser Schulen kennen zu lernen und spezielle Informationsprogramme für Mädchen angeboten. Teil dieses Projekts ist es auch, Technikerinnen einzuladen und Gespräche zu ermöglichen. Das Ministerium bietet alle interessierten Schulen Unterstützung bei ihren Aktionen an.

LISE: Eine vom BMUK finanzierte Internetseite, die speziell dem Thema Mädchen und naturwissenschaftlicher Unterricht gewidmet ist. Neben Basisinformationen zum Thema findet man darin Literaturangaben, Unterrichtsvorschläge, Links und ein Diskussionsforum.

"Geschlechter - Kultur macht Schule": Die Aktion gibt Schulen die Möglichkeit, Fachfrauen und Fachmänner aus (für ihr Geschlecht) eher untypischen Arbeitsbereichen sowie andere ExpertInnen (etwa für das Thema "Frauen am Arbeitsmarkt") einzuladen.

Die Aktionen des BMUK werden von einer Reihe von unabhängigen Frauengruppen und Frauenvereinen mitgetragen bzw. werden diese Gruppen in ihren Aktionen von Seiten des Unterrichtsministeriums mit unterstützt. Dazu zählen u. a. SPRUNGBRETT (Mädchenberatungsstelle, bietet u.a. Kursen für Mädchen an, die die Absicht haben eine HTL zu besuchen), MAFALDA (Vorbereitung von jungen Frauen und Mädchen für den Einstieg in technische Handwerksberufe), SUNWORK (feministische Bildungsarbeit mit dem Schwerpunkt Ökotechnik), EFEU (Verein zur Erarbeitung feministischer Erziehungs- und Unterrichtsmodelle).

Neben den nationalen Aktivitäten ist das Unterrichtsministerium auch an einer Reihe europäischer Kooperationen und Projekte im Rahmen von EU-Programmen beteiligt, etwa am @fem-training-net@, einem Pilotprojekt im Rahmen von LEONARDO da Vinci, das u. a. dem Aufbau eines trans/nationalen Netzwerks zum professionellen Informations- und Erfahrungsaustauschs dient.

FIT - Frauen in die Technik ist ein an der Technischen Universität Graz in Zusammenarbeit mit dem AK, dem Frauenreferat der HochschülerInnenschaft und dem IFZ entwickeltes Projekt, das sich aus dem Projekt FiT (Frauen in Technikberufen), das 1991 von der Arbeiterkammer gemeinsam mit der Mädchenberatungsstelle MAFALDA, dem Frauenreferat der HochschülerInnenschaft und dem IFF /IFZ initiiert wurde. Ziel des Projekts ist es, durch gezielte Information und entsprechende Breitenwirkung Frauen zu motivieren, technische Studienrichtungen in ihre Berufsplanung einzubeziehen. Das Programm beinhaltet

Gleichfalls vom Unterrichtsministerium herausgegeben wird eine Schriftenreihe mit Projektberichten zum Thema "Schulqualität und geschlechtssensible Lernkultur." In diesen Berichten werden fallstudienartig Erfahrungen einiger Wiener Schulen mit teilweiser oder vollständiger Aufhebung der Koedukation dokumentiert [4]. Über die genannten Projekte des BMUK informiert jeweils in Kurzdarstellung das Informationsblatt für Schulbildung und Gleichstellung SCHUG.

Literatur:

[1] Österreichische Schulstatistik 97/98. Hrsg. BMUK und Österr. Statistisches Zentralamt

[2] Österreichische Hochschulstatistik, Studienjahr 1997/98. Hrsg. vom Österreichischen Statistischen Zentralamt

[3] OECD-Bericht, Review of Higher Education Policy in Austria, Paris 1993

[4] Stadler, H.: Schülerinnen an Höheren Technischen Lehranstalten. BMUK 1997

[5] Parnigoni, B., Schrittesser, I.: Geschlechtsdifferndenzierender Unterricht und Koedukation. BMUK, Wien 1997

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