Franziska Seidl


Franziska Seidl

Urheberin: Lieselotte Orgel-Purper





Franziska Seidl war die erste Frau, die in Experimentalphysik habilitierte.

Kindheit und Studium
Wissenschaftliche Laufbahn
Publikationen


Kindheit und Studium:

Franziska Seidl wurde am 1. Juli 1892 in Wien geboren. Sie war das Kind von Franz Vicari, einem Geschäftsinhaber, und Maria Vicari, geborene Anton. Ihre schulische Bildung bestand zunächst aus fünf Klassen Volksschule und drei Klassen Bürgerschule mit Ergänzungskursen. [1]

 Othmar Preining, Professor für Experimentalphysik an der Universität Wien, charakterisierte die Voraussetzungen für das Mädchen Franziska Seidl in einem Vortrag am 23. Juni 1992.

 „Wissenschaft, Physik, Studium standen nicht am Lebensplan von Frau Franziska Seidl, vom Mädchen Franziska Seidl. Sie hat, als höhere Tochter, zunächst im Wesentlichen sich der Musik gewidmet, und diese Freude an der Musik und die Verbindung von Musik und Wissenschaft hat sie durch ihr ganzes Leben begleitet. Sie war nicht für ein Studium vorgesehen.“[2]

 Im Jahre 1911, im Alter von 19 Jahren, heiratete sie Wenzel Seidl. Wenzel Seidl wurde 1881 in Budweis geboren. Ab 1900 studierte er an der Universität Wien. Als Mittelschullehrer zog er mit Franziska Seidl nach Mährisch–Weisskirchen. Dort lehrte er als Physik- und Mathematiklehrer am Staatsgymnasium.[3]

 Die Wende ihres Lebens trat mit dem Ersten Weltkrieg ein. Ihr Mann fiel 1916 in der Schlacht am Isonzo.[4] Als Witwe kehrte Franziska Seidl nun nach dem Zerfall der Österreich–Ungarischen Monarchie als tschechische Staatsbürgerin nach Wien zurück und nahm das Vermächtnis ihres verstorbenen Mannes auf.[5]

 Nach dem Tod ihres Mannes „entschloss sich die Bürgerstochter, aus gutem Hause, die sich vorher nur mit musischen Inhalten beschäftigt hatte, die Matura nachzumachen“[6]

 Am 30. Oktober 1918 bestand sie am Staatsrealgymnasium Stubenbastei, in Wien I, als Externistin die Matura. Ab dem Wintersemester 1918/19 studierte sie Physik als Hauptfach, Mathematik und Chemie als Nebenfach an der Universität Wien. Nach nur acht Semestern, am 7. Dezember 1923, promovierte sie bei Professor Ernst Lecher, ihrem Doktorvater. [7] Ihre Dissertation lautete: „Über eine Messung kurzer Zeiten mit dem Helmholz –Pendel“ [8].

 Schon während ihres Studiums, genauer seit Jänner 1923, war Franziska Seidl als Hilfsassistentin am I. Physikalischen Institut angestellt. Professor Lecher erkannte ihre physikalischen Begabungen schon während ihres Studiums. Bereits ein Jahr später wurde sie zur Assistenten am I. Physikalischen Institut ernannt, und 1933 habilitierte sie sich für Experimentalphysik.[9]



[1] Curriculum vitae, Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[2] Preining, Othmar: Franziska Seidl. Erinnerungen und Experimente zum 100. Geburtstag; (Wien, Vortrag am 23.6.1992).

[3] Curriculum vitae, Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[4] Rigorosenakt Nr. 5602.

[5] Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[6] Dimensionen: Die Welt der Wissenschaft im Überblick, 27.6.1992.

[7] Rigorosenakt Nr. 5602, Archiv der Universität Wien.

[8] Rigorosenakt Nr. 5602, Archiv der Universität Wien.

[9] Cermak, Erich: Beiträge zur Geschichte des Lehrkörpers der Philosophischen Fakultät der Universität Wien zwischen 1938 und 1945, Diss., (Wien, 1980), 298.



Wissenschaftliche Laufbahn:

Ab dem 1. Jänner 1923 war sie unermüdlich an diesem Institut tätig. Ab dem Wintersemester 1933/34 hielt sie eigene Vorlesungen als Privatdozentin ab, leitete Praktika und betreute Dissertationen.[1] Am Ende ihrer wissenschaftlichen Karriere war sie in der Ausbildung für Physiklehrer, „den vielleicht wichtigsten Teil der Lehre überhaupt“, [2] nach Othmar Preinigs Worten, tätig.

Am 18. Oktober 1939 wurde Franziska Seidl zum Dozenten neuer Ordnung in den Dienst übernommen. Später beförderte man sie zum Dozenten mit Diäten. 1942 wurde sie zum außerplanmäßigen Professor für Experimentalphysik ernannt. Den Antrag dafür stellte Professor Gerhard Kirsch.[3] Gerhard Kirsch war seit 1941 Vorstand des I. Physikalischen Institutes. Folgende Begründung führte er an:

„Frau Dozent Seidl ist mir seit vielen Jahren persönlich bekannt als Mensch, der nur der Wissenschaft lebt, dem Unterricht und der Forschung.“[4]

Zugleich wurde sie 1942 mit der Vorlesung „Physik für Mediziner“ betraut, welche sie bis Kriegsende abhielt.[5]

Große Verdienste hat sich Franziska Seidl nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erworben, indem sie das Physikalische Institut in Ordnung brachte.[6] Ab April 1945 hat die Fakultät sie mit der interimistischen Leitung des I. Physikalischen Institutes beauftragt. Ab dem Sommersemester 1945 übernahm sie auch für einige Semester die Hauptvorlesung für Physik.[7]

Bis zur Rückkehr 1947 von Professor Felix Ehrenhaft aus der Emigration leitete sie provisorisch das Institut. Zuvor, 1946, wurde ihr der Titel außerordentlicher Professor zuerkannt. 1958 wurde sie außerordentliche Professorin. 1963 erhielt sie den Titel ordentlicher Professor.[8] Dies erfolgte auf Antrag von Professor Stetter im Einvernehmen mit den anderen ordentlichen ProfessorInnen. Im selben Jahr, mit 30. September 1963, nach Absolvierung eines vollen Ehrenjahres, emeritierte sie.[9]

Franziska Seidls Forschungstätigkeiten waren auf den Gebieten:

Ø      Ultraschall,

Ø      Röntgenstruktur,

Ø      Schalloptik

Ø      Piezoelektrizität

Ø      Schwingkristalle

Ø      elektrisches Verhalten von Kristallen.[10]

Franziska Seidl gehört zu den ersten, die auf dem Gebiet des Ultraschalls gearbeitet haben. Während des Krieges wurde sie nach Deutschland eingeladen, wo sie am Siemenslaboratorium Ultraschallexperimente durchgeführt hat. Dies war für eine Frau damaliger Zeit sicher etwas Außergewöhnliches und eine große Ehre.

Franziska Seidl war in der Musik hervorragend ausgebildet und forschte zunächst auf dem Gebiet der Akustik. Von der Akustik kommend, hat sie sich später dem Ultraschall zugewandt. Neu war die Verwendung des Ultraschalls in der Werkstoffprüfung. Die Ergebnisse von Franziska Seidls Forschungstätigkeit bildeten die Grundlage, denn heute ist die Ultraschalltechnik aus der Medizin nicht mehr wegzudenken. Bis zum Ausscheiden aus ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit beschäftigte sich Seidl mit dem Ultraschall. An der Röntgenstruktur forschte sie zuletzt nicht mehr.[11]

Zu ihren Erfindungen zählt auch das membranlose Kristalltelefon. Für diese Erfindung erwarb sie das Patent. Meistens arbeitete sie an wissenschaftlichen Forschungen mit Kolleginnen zusammen, wie zum Beispiel mit Helene Fröhlich, Elisabeth Hofer oder Pia Petritsch.

Ihr Hauptaugenmerk galt aber der Aus- und Weiterbildung von PhysiklehrerInnen. „Ihre große Liebe galt der Lehre“.[12] Sie leitete und baute das Schulversuchspraktikum aus. Weiters führte sie spezielle Lehrveranstaltungen für LehramtskandidatInnen ein. Seit 1946 amtierte sie als Präsidentin des Vereins zur Förderung des physikalischen und chemischen Unterrichtes. Dafür organisierte sie Fortbildungswochen für bereits im Beruf stehende LehrerInnen. Weiters war sie als Prüferin für das Lehramt an Schulen tätig. [13]

Selbst nach ihrer Emeritierung war sie noch bis 1967 als Präsidentin des Vereins zur Förderung des physikalischen und chemischen Unterrichtes tätig. Einer ihrer Höhepunkte als Präsidentin war wohl 1960 die Organisation einer internationalen Fortbildungswoche im Rahmen der OECD.[14]

Franziska Seidl gelang es, die Faszination der Physik zu übermitteln, wie Dr. Othmar Preining betonte: 

„Sie war ebenso wie ihr Lehrer Lecher eine ganz hervorragende Vortragende. Sie konnte auch schwierige physikalische Inhalte so vermitteln, dass sie von vielen, oder vielleicht allen Studenten verstanden wurden. Sie hat also die Aufbereitung der Physik für das Verständnis vieler als eine ganz große Aufgabe gesehen und damit den Lehrern für Physik Hilfsmittel gegeben und Unterweisungen gegeben, die sie vorher nicht in diesem Umfang bekommen haben. Dies ist ihr Hauptverdienst wahrscheinlich auf längere Sicht. Sie hat damit den Mittelschulunterricht in Österreich, für Jahre, vielleicht Jahrzehnte, sehr positiv beeinflusst.“[15]

Franziska Seidl starb am 14. Juni 1983.



[1] Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[2] Preining, Othmar: Franziska Seidl. Erinnerungen und Experimente zum 100. Geburtstag.

[3] Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[4] Antrag, Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[5] Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[6] Bitter, Lotte: Geschichte des Studienfaches Physik, 243.

[7] Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[8] Cermak, Erich: Beiträge zur Geschichte des Lehrkörpers der Philosophischen Fakultät, 298.

[9] Kommissionsbericht, Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[10] Angetter, Daniela/ Martischnig, Michael: Biografien österreichischer [Physiker]innen, 134.

[11] Reinhard Schlögl im Gespräch mit Othmar Preining, Wien, Juni 1992.

[12] Reinhard Schlögl im Gespräch mit Othmar Preining, Wien, Juni 1992.

[13] Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[14] Personalakt Nr. 3142, Archiv der Universität Wien.

[15] Reinhard Schlögl im Gespräch mit Othmar Preining, Wien, Juni 1992.


Publikationen:

1.      Neue Beobachtungen am selbsttönenden Kristall, Phys. Z. 27, 816, (1926).

2.      Der selbsttönende Kristall als thermischer Effekt, Ann. d. Phys. 84, 384, (1927).

3.      Ein interessanter Sprung in einem Piezoquarz, Naturw. 17, 781, (1929).

4.      Beeinflussung der Leitfähigkeit von Paraffin durch Röntgen und Υ-Strahlen, Z. f. Physik 73, 45, (1931).

5.      Adsorptions- und Phasengrenzpotentialschwerangreifbarer Gläser, Wiener Akademie Ber. IIa, 140, 67, (1931).

6.      Das Zustandekommen und die Beeinflussung der fallenden Charakteristik des Schwingkristalles, Z. f. Physik 71, 227, (1931).

7.      Elektrische Leitfähigkeit von belasteten Piezoquarzen, Z. f. Physik 75, 486, (1932).

8.      Piezoelektrische Bestimmung der Zerreißfestigkeit von dünnen Metall-, Quarz- und Glasfäden, Z. f. Physik 75, 735, (1932).

9.      Einfluss der Temperatur und der Feldstärke auf die elektrische Leitfähigkeit von Bernstein, Z. f. Physik 76, 565, (1932).

10.  Bemerkung zu der Arbeit von A. D. Goldhammer: Über den Einfluss von oberflächlichen Ladungen auf die Leitfähigkeitsmessungen schlecht leitender Substanzen, Z. f. Physik 86, 274, (1933).

11.  Elektrizitätsleitung in festen Isolatoren, Forschung und Fortschritte 9, 253, (1933).

12.  Über die Einwirkung von Radium und Röntgenstrahlen auf Piezoquarze, Wiener Akad. Ber. IIa, 142, (1933).

13.  Elektrische Leitfähigkeit von Bernstein bei verschiedenen Drucken, Z. f. Physik 91, 318, (1934).

14.  Einwirkung von Röntgen- und Gammastrahlen auf piezoelektrische Kristalle, Z. f. Physik 97, 671, (1935).

15.  Normaler Leitungsstrom und Rückstandserscheinungen von festem durch Gammastrahlen beeinflusstem Paraffin, Z. f .Physik 99, 695, (1936).

16.  Elektrische Leitfähigkeit von mechanisch beanspruchen Seignettesalzkristallen, Z. f. Physik 101, 234, (1936).

17.  Kristallphotoeffekt an verfärbtem Seignettesalz, Z. f .Physik 99, 633, (1936).

18.  Das elektrische Verhalten von Seignettesalzkristallen, die im elektrischen Feld aus gesättigter Lösung auskristallisierten, Wiener Akd. Anz. 11, (1936).

19.  Elektrische Leitfähigkeit der erstarrten Schmelze von Seignettesalzkristallen, Wiener Akad. Ber. IIa, 145, 515, (1936).

20.  Beobachtungen des täglichen Ganges der elektrischen Leitfähigkeit der Atmosphäre in Fulpmes im Stubeital, Akad.Ber. IIa, 146, 249, (1937).

21.  Der normale Ladungsstrom in Seignettesalzkristallen, Z. f. Physik 39, 714, (1938).

22.  Mechanische Schwingungen eine piezoelektrisch angeregten Quarzes, Z. f. Physik 112, 362, (1939).

23.  Elektrische Leitfähigkeit flüssiger Dielektrika und ihre Änderung durch Ultraschall, Z. f. Physik 116, 359, (1940).

24.  Ultraschall und seine Anwendung (Beinhaltet Anordnungen zur Beugung des Lichtes an U.S.-Wellen und Apparat für chemische und biologische Untersuchungen nach F. Seidl), Österr. Chemikerzeitung, Jhg. 45, 102, (1942).

25.  Über die Ausbreitung des Schallwellenfeldes in Flüssigkeiten, Acta Physica Austriaca, Bd. 1,2,155, (1947).

26.  Über das seignetteelektrische Verhalten von RbH2PO4 und CsH2PO4, Tschermaks mineralogische und petrographische Mitteilungen, Bd. 1, 4, 432, (1949).

27.  Der gegenwärtige Stand der Messung der Schalleistung und der Schallintensität, Del Nuovo Cimento, Serie IX, Vol. VII, S. 2.

28.  Schallabsorption in beschalltem Transformatorenöl, Acta Physica Austriaca, Bd.5, 4, 504, (1952).

29.  Beobachtung an mit Ultraschall erzeugtem Ölsprudel, Acustica, Vol. II, 45, (1952).

30.  Schallabsorption in beschalltem Transformatorenöl, Over Ultrasonore Trillingen, (1952).

31.  Physikalisches zur Ultraschalltherapie des Ohres, Monatszeitschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, Heft 4/5/6, Jhg. 87, (1953), S. 82.

32.  Schalldurchgang durch den menschlichen Knochen, Acustica, Vol. 3, (1953), S. 224.

33.  Anwendung der Schlierenmethode in der Strömungslehre, Acta Physica Austriaca, Bd. VII, 4, (1953).

34.  Über die Einwirkung verschiedener Strahlenarten auf Piezoquarze und Schwingkristalle, Acta Physica Austriaca, Bd. X, 3, (1956), S. 169.

35.  Über das Verhalten von Quarzkristallen bei der Mikrohärteprüfung, erscheint in der Z. Acta Physica Austriaca.

36.  Fortpflanzungsgeschwindigkeit und Absorption von Ultraschallwellen, I. Teil, Math.-phys. Semesterberichte, Bd. 8, (1961), S. 47.

37.  Eigenschaften und Wirkungen des Ultraschalls, Physikal. Blätter, Jg. 18, (1962), S. 207.

38.  Österr. Patent auf das erste membranlose Kristalltelephon.