Das Physikwissen österreichischer Maturantinnen
Eine Analyse der Ergebnisse der TIMS-Studie aus geschlechtsspezifischer Perspektive
Helga Stadler


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Kapitel 1

Beurteilung der Geschlechtsspezifität des Testaufbaus Naturwissenschaften / Physik

1. 1. Vorüberlegungen
1. 2. Hypothesen, die dazu dienen, auf ein Ungleichgewicht in der Teststruktur hinweisen.
1. 3. Itemanalyse: Sind die Aufgaben "mädchengerecht"?


1.1.Vorüberlegungen

In Österreich gibt es bisher keine umfassenden Untersuchungen zu geschlechtsspezifischen Aspekten des naturwissenschaftlichen Unterrichts. Das Wahlverhalten der Schülerinnen und Schüler weist allerdings darauf hin, dass die in vielen westlichen Ländern zu beobachtende Distanz der Mädchen zu Physik und Technik auch in Österreich vorhanden ist. Sie wird deutlich in der Wahl der Schultype, des Studiums und des Berufs. Um die Ursachen dieses Verhaltens auszumachen, gibt es international umfangreiche Forschungsarbeiten. (In Österreich gibt es zu dieser Frage nur einige wenige Einzeluntersuchungen, deren Ergebnisse im Wesentlichen mit den Ergebnissen der internationalen Forschung übereinstimmen.). Im Folgenden soll nur auf jene Forschungsergebnisse Bezug genommen werden, die für eine Beurteilung der TIMSS-Items relevant erscheinen.

Zu diesen und allen folgenden Aussagen ist zu bemerken, dass damit (wie bei alle statistischen Aussage) nicht die Einzelperson gemeint ist, sondern Aussagen über große Gruppen getroffen werden, wo die Varianz innerhalb einer Gruppe größer sind kann als die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen, d.h. die Unterschiede innerhalb eines Geschlechts größer sind als Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Für die Analyse der Items aus österreichischer Sicht erscheinen auch folgende Fakten der Prüfungskultur an österreichischen Schulen von Bedeutung:


1. 2. Hypothesen, die dazu dienen, auf ein Ungleichgewicht in der Teststruktur hinweisen.

Aus den genannten Fakten lassen sich was das Format (Punkt 1-3) und Inhalte (Punkt 4 -6) der Aufgaben betrifft folgende Hypothesen ableiten:

  1. Bei Prüfungen und Tests über Faktenwissen, das über große Zeiträume reicht, sind Mädchen benachteiligt. (Das gilt auch für die Lösung von Problemen, die auf derartigen Kenntnissen aufbauen.)

  2. Mädchen sind durch ein Aufgabenformat, das von dem in der Schule üblicherweise verwendeten abweicht, benachteiligt. Studien weisen darauf hin, dass die Mädchen in Ländern, in denen MC Aufgaben üblich sind, bei derartigen Aufgaben besser abschneiden als bei offeneren Fragestellungen, in Österreich ist zu vermuten, dass   mathematische Aufgaben benachteiligt, weil sie jene Schultypen, an denen derartige Probleme eingeübt werden, weniger oder nicht besuchen.

  3. Mädchen sind benachteiligt, wenn die Lösung einer Aufgabe ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen verlangt.

  4. Mädchen sind benachteiligt, wenn es um Kontexte geht, die nicht im Sinne von Orientierungswissen für die Mädchen von Bedeutung sind.

  5. Mädchen sind benachteiligt, wenn Wissen oder Kenntnisse verlangt werden, die nicht im schulischen Kontext erworben und/oder vertieft wurden.

Benachteiligungen von Buben können sich durch den Schultyp ergeben(keine Berechnungen). Anzunehmen ist auch, dass Buben, die ein Gymnasium besuchen, eher an Orientierungswissen interessiert sind und sich für diese Buben insgesamt ein ähnliches Muster in Bezug auf Benachteiligung ergibt wie für Mädchen insgesamt vermutet wird.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Feststellung, dass Mädchen (oder Buben) bei bestimmten Aufgaben benachteiligt sind, nicht die Sinnhaftigkeit dieser Aufgaben in Frage stellt. Die Hypothesen zur Benachteiligung können zunächst nur als Beitrag zur Einzel- und Gesamtinterpretation der Ergebnisse beitragen. Darüber hinaus Hinweis geben, inwiefern einerseits die Lernbedingungen für Mädchen zu verändern sind, andererseits Tests so abgeändert werden können, dass sie auch den Stärken der Mädchen gerecht werden.


1. 3. Itemanalyse: Sind die Aufgaben "mädchengerecht"?

Eine gleichzeitige Beurteilung der Items für beide Geschlechter, würde dazu führen, dass vorhandene Unterschiede (wieder) unsichtbar werden. Die Bewertung der Items innerhalb eines Punkteschemas kann nur begrenzt die in den Hypothesen genannten Kriterien berücksichtigen. (Bei genauer Analyse wäre auch die gegenseitige Bedingtheit der einzelnen Kriterien zu berücksichtigen.)

ad 2. Für alle MC Aufgaben wird dann ein Punkt abgezogen, wenn noch ein weiterer erschwerender Umstand hinzutritt.

ad 1., 3. und 6. Die Bewertung der einzelnen Aufgaben innerhalb eines Punktesystems muss nicht nur die Curricula aller Schultypen (Oberstufenformen der AHS, HAK, HTL, etc.) sondern auch die gängige Praxis berücksichtigen.

Da die Mehrzahl der Schülerinnen Schultypen besucht, die Physik und Technik nicht zum Schwerpunkt haben, haben wir folgende Vereinfachung vorgenommen: Die nachfolgende Bewertung der Aufgaben bezieht sich auf eine Schülerin, die im Verlaufe ihrer Schulzeit an der Sekundarstufe II insgesamt sieben (Gymnasium) Stunden Physikunterricht gehabt hat. Der gängigen Praxis entsprechend bedeutet dies, dass sie praktisch keine Berechnungen im Unterricht durchgeführt hat und dass der Unterricht dem traditionellen Schema Mechanik - Wärmelehre (wird häufig nur kurz unterrichtet) - Wellenlehre und Optik - Elektrotechnik - Moderne Physik folgt. Je nach Stundenausmaß und Lehrpraxis werden dann auch häufig ganze Bereiche völlig gestrichen oder nur in einem sehr geringen Ausmaß unterrichtet. Zur Prüfungskultur gelten die in Kapitel 2 genannten Überlegungen.

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ZUM KAPITEL 2