Brigitte Strohmaier


Aktuelles Arbeitsgebiet:

1. Evaluation von Anregungsfunktionen von Kernreaktionen

Unter Anregungsfunktionen versteht man Wirkungsquerschnitte als Funktion der Einschuss­energie. Diese werden für Anwendungen benötigt, insbesondere die Anregungsfunktionen neutroneninduzierter Reaktionen beim Design von Spalt- und Fusionsreaktoren im Hinblick auf Strahlenschäden an den Konstruktionsmaterialien. Weiters sind Anregungsfunktionen von Reaktionen, die von Neutronen oder geladenen Teilchen induziert werden, von Interesse für Dosimetriezwecke bzw. zur Optimierung der Ausbeute um bei der Herstellung medizinisch relevanter Isotope.
Der Begriff Evaluation wird hier in der Bedeutung von Modellrechnungen im Rahmen von Kernreaktionsmodellen gebraucht. Solche Rechnungen wurden meist für Einschussenergien von der Reaktions­schwelle bis etwa 30 MeV durchgeführt. Existierende experimentelle Daten für diese Wirkungsquerschnitte wurden gründlich gesichtet, gegebenenfalls korrigiert und/oder auf neuere Referenzquerschnitte renormiert und dienten dann Festlegung der in den Modellen enthaltenen Parameter. Was die Reaktionsmechanismen anbelangt, so ist es im betrachteten Energiebereich für manche Reaktionen notwendig, Beiträge direkter Reaktionen zu berücksichtigen, vielfach findet man mit dem Compoundkernmodell unter Hinzunahme von Precopoundbeiträgen das Auslangen.

2. Habilitation (1988) über Berechnung von Kernniveaudichten nach der Methode der spektralen Verteilungen für Kernmassen A = 20 und 24

Als Niveaudichten bezeichnet man das Kontinuum der Energiezustände von Systemen, beschrieben durch Funktionen, die von Quantenzahlen wie Energie, Drehimpuls und Parität abhängen. Solche Niveaudichten sind bestimmend für Wirkungsquerschnitten von Prozessen, bei denen sie die Dichte der erreichbaren Endzustände beschreiben. So gehen Niveaudichten von Atomkernen wesentlich in die Berechnungen der Kernsynthese in der Astrophysik und der Kernreaktionen von Neutronen in den Strukturmaterialien von Kernreaktoren ein
Die meisten Arbeiten auf dem Gebiet nuklearer Niveaudichten basieren auf der Annahme wechselwirkungsfreier Fermionen (Fermigasmodell). Dieses Modell legt i. A. eine konstante Einzelteilchenniveaudichte zu Grunde; die Niveaudichte für das Vielteilchensystem lässt sich nach den Methoden der statistischen Mechanik in analytischer Form angeben. Die Annahme der Wechselwirkungsfreiheit wird aber den Phänomenen nicht gerecht, dass in niedrigliegenden Kernzuständen Nukleonen vorzugsweise gepaart sind und dass in kollektiven Zuständen Teilchen-Loch-Paare mit demselben Drehimpuls kohärent angeregt sind. Ebenso sind Schaleneffekte in diesem Modell zunächst nicht enthalten. Die Effekte von Schalenstruktur und Paarung werden durch entsprechende Wahl der Parameter in der Niveaudichteformel berücksichtigt; für den Beitrag kollektiver Zustände versucht man eine einfache Formulierung anzugeben
Die resultierenden phänomenologischen makroskopischen Formulierungen der Niveaudichte zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch wenige Parameter charakterisiert und einfach zu berechnen sind, was insbesondere bei der Verwendung der Niveaudichten in Kernreaktions­modellen erstrebenswert ist. Allerdings können diese Niveaudichten mit großen Unsicherheiten behaftet sein, wenn die Parameter experimentell ungenügend abgesichert sind.
Eine korrekte Beschreibung von Paarung und kollektiven Zuständen hingegen kann nur erreicht werden, indem man die volle Zweiteilchenwechselwirkung berücksichtigt. Ein Formalismus, der diese Zweikörperkräfte zulässt, ist die Methode der spektralen Verteilungen. Von dieser Technik ist auch eine bessere Beschreibung der Drehimpuls- und Paritätsabhängigkeit der Niveaudichte zu erwarten. Zusätzliche Inputparameter gegenüber dem mikroskopischen Fermigasmodell sind die Matrixelemente der Zweiteilchenwechselwirkung.
Eine grundlegende Annahme dieses Formalismus ist es, dass die Verteilung der Energieeigenwerte im Limes großer Teilchenzahl in eine Gaussverteilung übergeht. Zur Beschreibung dieser Verteilung reicht es aus, einige Momente niedriger Ordnung des Hamiltonoperators zu bestimmen.
Für die Kerne 20Ne und 24Mg wurden Studien dieser Methode durchgeführt, wobei zwei verschiedene Ansätze ("Momentenmethode", "Lanczosmethode") verfolgt und bzgl. ihrer Ergebnisse für Zustandsdichten, Spincutoffparameter und Niveaudichten beider Paritäten verglichen wurden.

3. Mitarbeit an der Biographie "Marietta Blau - Sterne der Zertrümmerung"
( Robert Rosner, Brigitte Strohmaier (Hg.): Marietta Blau - Sterne der Zertrümmerung, Biographie einer Wegbereiterin der modernen Teilchenphysik, Böhlau-Verlag, Wien (2003); ISBN 3-205-77088-9)

Marietta Blau (1894-1970) war unter den ersten Frauen, die an der Universität Wien Physik studierten. Sie entwickelte am Wiener Radiuminstitut eine Methode zur Registrierung von Kernteilchen mit Hilfe von photographischen Platten. Höhepunkt ihrer Forschung war die Entdeckung von "Zertrümmerungssternen", den Spuren der Kernreaktionen, die die Höhenstrahlung in den Photoplatten bewirkt.
1938 emigrierte sie auf Vermittlung Albert Einsteins nach Mexiko, wo sie aber wissenschaftlich völlig im Out war. Nach ihrer Übersiedlung in die USA war sie zunächst in der Industrie tätig, bevor sie 1948 wieder Zugang zur Teilchenphysik und somit zu wissenschaftlicher Forschung fand. Als sie 1960 nach Wien zurückkehrte, war sie bereits dreimal vergeblich für den Nobelpreis vorgeschlagen worden, und sie fand in ihrer Heimatstadt die unaufgearbeiteten Probleme der Nazizeit vor. Zehn Jahre verlebte sie in diesem schwierigen Ambiente, vier davon forschte sie noch am Radiuminstitut.


Wissenschaftliche Laufbahn:


Brigitte Strohmaier und die Physik:

(Der folgende Text basiert auf einem Interview, das im April 2003geführt wurde)

Wie sind Sie zur Physik gekommen?

Ich habe im Gymnasium einen sehr guten Physikunterricht gehabt von einer Professorin, die begeisterte Physikerin war und den Unterricht wissenschaftlich einwandfrei gestaltete.
Motiviert wurde ich auch durch die erhoffte Möglichkeit, Kernphysik zum Wohl der Menschheit einzusetzen. Es gab während meiner Schulzeit Ausstellungen über die friedliche Nutzung der Atomenergie (Kernenergie, Haltbarmachen von Saatgut, etc.), eine regelrechte Werbung, die eine Gegenmaßnahme zum schlechten Image der Kernphysik durch die Kernwaffen nach dem 2.Weltkrieg darstellte.
Was mich darüber hinaus anzog, war wahrscheinlich die Denkweise der Physik, die Objektivierbarkeit der Wahrheit.

Welche Fähigkeiten haben Sie mitgebracht - was mussten Sie sich erarbeiten?

Eine systematische Art an Probleme heranzugehen, habe ich sicherlich zu einem gewissen Grad mitgebracht. Man macht eine Art Bestandsaufnahme der Fragestellung und des Wissens, das man zur Lösung einsetzen kann. Diese konstruierende Denkweise wurde dann durch Studium und Arbeit verstärkt.

Nach welchem Motto leben Sie?

Ich glaube, dass Intellektualität allein ein Menschenleben nicht ausmacht. Und gerade, da ich einen intellektuellen Beruf ausübe, erscheint es mir wichtig, eine Balance zwischen Intellektualität, Körperlichkeit und Spiritualität anzustreben.

Wie erging es Ihnen während des Studiums?

Meine Erinnerungen an das Studium sind geprägt durch Erfahrungen von Kameradschaft und Kollegialität. Etwa im 5. Semester gab es ein Fortgeschrittenenpraktikum, das keine Alternative zugelassen hat und als Flaschenhals des Studiums betrachtet wurde. Damals bildete sich eine sehr kooperative Gruppe, in der wir zusammen gelesen, gelernt und exzerpiert haben. Ich habe das in sehr schöner Erinnerung.

Wie sind Sie zu Ihrem derzeitigen Arbeitsgebiet gekommen? Wie waren Ihre ersten Erfahrungen mit der Wissenschaft?

Meine Präferenz wäre eigentlich theoretische Physik gewesen. Am Institut für theoretische Physik gab es damals eine Dissertantenaufnahmeprüfung, die den Ruf hatte, eine strenge Auslese zu bewirken, sodass ich nicht einmal in Erwägung gezogen habe anzutreten. Die Kernphysik war für mich insofern die Alternative, als man da theoretisch an sinnvollen phänomenologischen Modellen arbeiten konnte.
Ich habe mich also an Frau Professor Karlik, die damalige Direktorin des Instituts für Radiumforschung und Kernphysik, gewandt mit dem Anliegen, theoretisch zu arbeiten. Sie verwies mich an Wolfgang Breunlich, der damals Assistent am Radiuminstitut war und Dissertationsbetreuer meiner Arbeit über Isospinmischung in Compoundkernreaktionen wurde. Ich sollte ein Computerprogramm weiterentwickeln, das von Mario Uhl stammte, mit dem ich später auch zusammen arbeitete.
Zudem herrschte unter den Dissertanten am Institut eine familiäre Atmosphäre, was motivierend wirkte und auch sehr angenehm war.

Wie ist Ihre wissenschaftliche Laufbahn weitergegangen?

Damals gab es eine Regelung, nach der eine Assistentenstelle bekommen hat, wer sub auspiciis praesidentis promovierte. So war ich ab 1974 angestellt und habe zunächst mit Mario Uhl an Kernreaktionsmodellen gearbeitet. Diese wurden im Rahmen von Forschungsaufträgen für Euratom angewendet, um Wirkungsquerschnitte neutroneninduzierter Reaktionen an verschiedenen Elementen zu berechnen.
Schließlich habe ich mit den Forschungen begonnen, die zu meiner Habilitation führten. Ich war 1984/85 im Rahmen eines Max-Kade-Stipendiums fünfzehn Monate in Los Alamos, NM, und 1987 und 1989 je ein paar Monate in Athens, OH. Gemeinsam mit Steven Grimes, einem Professor in Athens, entwickelte ich verschiedene Niveaudichtemodelle weiter, die nach dem Schalenmodell des Kerns Niveaudichteberechnungen zulassen. Nach Erhalt der venia legendi habe ich eine Vorlesung über eben diese Momentenmethode angeboten, die aber offensichtlich zu speziell war, da sie kaum besucht wurde.
In der letzten Zeit habe ich mich mit kosmischer Strahlung beschäftigt und halte auch eine Vorlesung darüber. Zudem habe ich an einem kürzlich erschienen Buch über die Kernphysikerein Marietta Blau mitgarbeitet, die von 1923 bis 1938 an diesem Institut tätig war.

"Ich ganz persönlich"

Die Beschäftigung mit dem persö;nlichen Schicksal von Menschen wie in der Studie über Marietta Blau ist sicher etwas, das mich fesselt. So habe ich auch über meine eigene Familie Ahnenforschung betrieben.
Ich singe in der Wiener Evangelischen Kantorei, spiele Blockflöte und gehe gerne Bergsteigen. Es wä;re auch schön, wieder mehr Gelegenheit zum Reisen zu haben.

Welchen Rat würden Sie Mädchen oder Frauen mitgeben auf den Weg, wenn sie Physik studieren wollen?

Dass es wichtig ist, nicht nur mit dem Kopf zu leben, sondern auch andere Bereiche des Menschseins einzubeziehen.
Dies gilt übrigens für Frauen wie für Männer gleichermaßen.


Das Interview führten Mag. Natascha Riahi und Mag.Katharina Durstberger
Projektleitung: Mag. Helga Stadler

Links:

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