An der TU ist mein Forschungsgebiet die experimentelle Festkörperphysik. Wir sind vor allem auf der
Suche nach Materialien mit neuen Eigenschaften. Im Hinblick auf Anwendungen stehen derzeit thermoelektrische Materialien
im Vordergrund. Was die Grundlagenforschung betrifft, so geht es um Systeme mit verschiedenen Elektronensystemen:
normale Elektronen (so genannte Leitungselektronen) und lokalisierte Elektronen, die sehr stark miteinander
wechselwirken. Besonders interessieren wir uns derzeit für quantenelektrisches Verhalten, das bei
Phasenübergängen am absoluten Temperaturnullpunkt
auftreten kann. Für diese Physik müssen wir verschiedene physikalische Eigenschaften bei sehr tiefen
Temperaturen messen, wobei zusätzlich Parameter, wie Magnetfeld und Druck variiert werden.
Zusätzlich bin ich an der TU auch in der Lehre tätig. Ich halte derzeit eine Pflichtvorlesung
(Festkörperphysik II) und eine Spezialvorlesung (Strongly correlated electron systems), jeweils mit einem
Kollegen gemeinsam. Es macht Spaß, ist aber unheimlich viel Arbeit, wenn man es wirklich gut machen will.
Manchmal muss man Kompromisse eingehen, weil man natürlich nicht hundert Prozent seiner Zeit in die
Vorbereitung stecken kann.
(Der folgende Text basiert auf einem Interview, das im Juli 2006 geführt wurde)
Wie sind Sie zur Physik gekommen?
Mich haben Physik und Chemie schon in der Schule sehr interessiert. Ich hatte eine Zeit lang auch
an ein Medizin- oder Elektrotechnikstudium gedacht, habe mich aber beim Durchblättern der Studienführer
für Physik entschieden und dieses Fach auch an der TU Graz studiert.
Da wir in meiner Kindheit sehr viel umgezogen sind, hatte ich viele verschiedene Physiklehrer und –lehrerinnen.
Es gab dabei sehr gute und sehr schlechte. Letztendlich war es das Fach an sich, das mich begeistert hat. Bei
manchen Lehrkräften habe ich mir gedacht: „Mensch, wenn die das geschafft haben … Das kann ich
besser.“ Das ist oft eine sehr gute Motivation.
Physik und die Naturwissenschaften liegen bei uns in der Familie. Mein Vater war Professor an der
Montanuniversität in Leoben. Es gab einen Physiker in der Verwandtschaft, und es gab natürlich auch
Friedrich Paschen, den Entdecker der Paschen-Serie. Das war mir damals aber gar nicht bewusst, als ich
Physik gewählt habe. Meine Eltern haben mich zu nichts gedrängt.
Welche Fähigkeiten haben Sie mitgebracht, was mussten Sie sich erst erarbeiten?
Mitgebracht habe ich sicher Disziplin – Selbstdisziplin: „Ich will das jetzt
machen. Und ich mache das.“ Ich denke, das habe ich teilweise im Sport gelernt. Als Kind und Schülerin
habe ich Kunstturnen gemacht, wo es sehr wichtig war, bei der Sache zu bleiben.
Neu gelernt habe ich alles, was spezifisch für die wissenschaftliche Vorgehensweise ist. Wie man
wissenschaftlich arbeitet, habe ich mir von Vorbildern abgeschaut. Ich bin da sehr gut hineingewachsen.
Mühsam waren einzig und allein experimentelle Probleme. Da rauft man sich wirklich oft die Haare.
Ich habe immer gedacht: „Mensch! Das kann’s doch nicht sein!“
Am Anfang des Studiums war auch die Mathematik relativ schwierig. In der Schule hatten wir ein besonders
hohes Niveau, obwohl ich in einem Realgymnasium war. Man musste sich daher am Anfang des Studiums ein
bisschen länger hinsetzen um etwas herauszufinden.
Wie erging es Ihnen während des Studiums?
Ich bin mit dem Studium sehr schnell fertig gewesen, vielleicht auch, weil ich zu Hause
gewohnt habe. Mir hat das Studium sehr gut gefallen, weil mich einfach das Fach interessiert hat. Ich bin zu
allen Vorlesungen gegangen, habe mir alles angehört. Ich habe mich selbst stark in das Studium eingebracht.
Manchmal hätte ich mir im Studium – das ist mir aber erst nachher bewusst geworden – mehr
Aktualität gewünscht.
Ich hatte auch einen Auslandsaufenthalt am Paul Scherrer Institut in der Schweiz. Das war sehr interessant,
auch wegen des internationalen Umfeldes. Es kam mir vor wie die große weite Welt der Physik. Das
hat mir sehr viel Spaß gemacht, und daraufhin habe ich auch meine Diplomarbeit am Paul Scherrer
Institut geschrieben.
Bei der Diplomarbeit ging es um eine astrophysikalische Anwendung der Festkörperphysik, die
Entwicklung eines Detektors für Teilchen im Weltraum auf der Basis von Supraleitern.
Ich habe von Anfang an, auch in meiner Diplomarbeit, experimentell gearbeitet, obwohl ich diese
Entscheidung eigentlich nie bewusst getroffen habe. Da bin ich hineingerutscht. Ich habe eine
experimentelle Diplomarbeit gemacht und bin dann dabei geblieben. Das war sehr interessant, obwohl man
auch gleich merkt, wo es Probleme gibt. Insbesondere experimentelle Probleme, durch die man sich einfach
durchbeißen muss.
Wie ist es mit Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn nach der Diplomarbeit weitergegangen?
Während der Diplomarbeit habe ich meinen Mann kennen gelernt, der auch Physiker ist.
Als er für seine Doktorarbeit nach Genf gegangen ist, habe ich begonnen, mich auch in diese Richtung
umzuschauen. Ich habe dann an der ETH Lausanne eine Stelle gefunden. In meiner Doktorarbeit habe ich mich
mit organischen Leitern beschäftigt. Das war ein recht großer Wechsel für mich. Aber das war
mir egal – ich wollte einfach etwas Interessantes machen.
Die Doktorarbeit habe ich nach drei Jahren abgeschlossen.
Dann ist mein Mann wieder weiter gezogen, um eine PostDoc-Stelle am Paul Scherrer Institut anzunehmen.
Deswegen habe ich mich in Zürich umgeschaut und hatte Glück. Ich habe dann an der ETH Zürich
eine PostDoc-Stelle bekommen.
Nach drei Jahren sind wir wieder umgezogen, aber diesmal war ich „schuld“, weil ich mich
am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden beworben hatte. Ich wurde
als wissenschaftliche Mitarbeiterin angestellt, und diesmal folgte mir mein Mann. Er musste sich zwar
fachlich sehr stark umorientieren, aber es hat dennoch sehr gut funktioniert.
Wir waren für sechs Jahre in Dresden. Ich war zuerst wissenschaftliche Mitarbeiterin und dann
C3-Gruppenleiterin. Während der Zeit hatte ich auch eine Gastprofessur in Nagoya, Japan. Wir haben
damals die ganze Familie mitgenommen.
Seit Mai 2005 bin ich an der TU in Wien – wieder samt Kind und Kegel.
Wie ergeht es Ihnen als Frau in Ihrem Beruf?
Ich sehe keine Vor- oder Nachteile. Man gewöhnt sich daran, dass man immer nur eine
der wenigen Frauen ist. Man kennt das gar nicht anders. Am Max-Planck-Institut gab es, als ich angefangen
habe, überhaupt keine anderen Frauen in der Wissenschaft, aber als ich gegangen bin, gab es fast
gleichviel Doktorandinnen wie Doktoranden. Das war interessant und es ergab sich eine nette Arbeitsatmosphäre.
In Wien gibt es am Institut eine einzige weibliche wissenschaftliche Mitarbeiterin. Es wäre schön,
wenn es mehr Frauen gäbe, aber man kann es nicht erzwingen.
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass ich es schwerer hatte, weil ich eine Frau bin. Es gibt
Frauenförderungsmaßnahmen, die auch wirklich nützlich sind. Zum Beispiel die C3-Stelle,
die ich am Max-Planck-Institut hatte. Sie gehörte zu einem Programm der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung hervorragender Wissenschaftlerinnen. Im Rahmen dieses Programms
werden jeweils zehn Frauen gefördert; viele davon werden Professorinnen.
Eine wissenschaftliche Laufbahn ist allerdings schwieriger zu bewältigen, wenn man Kinder hat. Ich selber
habe drei Kinder im Alter von acht, fünf und zwei Jahren. Ich bin nie in Karenz gegangen. Ich kenne andere,
die das gemacht haben, die dann aber meist mit einem Karriereknick zu kämpfen hatten. Mein Mann und ich
haben anfangs je nur zu 80% gearbeitet, damit die Kinder nur drei Tage fremd betreut waren. Jetzt arbeiten wir
beide wieder voll und nehmen externe Hilfe bei der Kinderbetreuung in Anspruch.
Trotzdem denke ich jeden Tag, dass ich zu wenig Zeit zum Arbeiten und zu wenig Zeit für die Familie habe.
Ein ewiges Dilemma. Aber missen möchte ich beides nicht!
"Ich ganz persönlich"
Im Moment sind die Kinder am wichtigsten. Das ist ganz klar. Bevor die Kinder da waren, habe ich sehr viel Sport getrieben. Als Kind und Jugendliche Leistungsturnen, dann habe ich viel getanzt. Später habe ich Triathlon, auch im Wettkampf, betrieben. Ich habe mit meinem Mann auch verrückte Mountainbiketouren über de Himalaja und durch Island und Pakistan gemacht.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Das Leben so zu nehmen, wie es kommt!
Welchen Rat würden Sie Mädchen und jungen Frauen mitgeben, die Physik studieren wollen?
Wenn man es wirklich will, heißt es: „Go for it!“ Die Chancen auf eine gute
und vor allem spannende Karriere sind sehr gut. Es wird auf keinen Fall ein Problem sein, dass man eine Frau ist!
Es ist klar, dass das vor dreißig Jahren ganz anders war. Aber es wird jetzt immer leichter, sich als
Frau durchzusetzen. Es gibt viele Programme, die speziell Frauen fördern. Es gibt einfach auch viel mehr
Frauen, die das machen wollen. Natürlich dringt das in die obersten Stufen nur sehr langsam vor.
Es gab auch nie Probleme, wenn ich, als Frau, die Vorgesetzte von Männern war. Ich habe noch nie
Spannungen in diesem Bezug gespürt. Vielleicht bin ich auch so unsensibel, dass ich es nicht gemerkt habe.
Aber ich denke, das wollte mich auch noch nie jemand spüren lassen.
Was oft der Knackpunkt bei Frauen ist, ist, dass sie sich manche Sachen gar nicht zutrauen. Sie sehen, dass
es schwierig ist, Familie und Karriere zu kombinieren. Mir ist es nicht anders ergangen, daher habe ich mich
erst sehr spät dafür entschieden, eine Familie zu gründen.
Man muss einfach daran glauben, dass man Kinder und Karriere kombinieren kann. Das scheint einem in
Österreich und Deutschland oft nicht umsetzbar, weil es zu wenige Vorbilder gibt. Ich habe es mich
getraut, weil ich während meiner Doktorarbeit viel Kontakt mit Frankreich hatte, wo es absolut
üblich ist, dass Frauen arbeiten und Kinder haben. Aufgrund des flächendeckenden Betreuungssystems
ist das dort normal.
Ich glaube nicht, dass es unbedingt positiv ist, wenn Frauen arbeiten müssen; wenn sie gar keine Wahl
haben, weil ein Einkommen die Familie gar nicht ernähren kann. Aber es hilft den Frauen über ihren
Schatten zu springen. Ich habe jeden Tag ein schlechtes Gewissen, wenn ich arbeiten gehe. Das sollte
irgendwann abgeschafft werden. Es ist eigentlich eine Erfindung unserer heutigen Gesellschaft, dass sich die
Mutter den ganzen Tag um die Kinder kümmern muss. Und das hat man als Frau in sich. Man tut es auch
gerne. Aber vielleicht ist es nicht das einzig Wahre.
Das Interview führten Mag. Lisa Fenk und Michaela Platzer
Projektleitung: Mag. Helga Stadler
Silke Bühler-Paschen an der Technischen Universität Wien
Artikel in den TU Wien-News über Silke Bühler-Paschen