Walter Grimus


Aktuelles Arbeitsgebiet:

Ich beschäftige mich mit Phänomenologie der Neutrinophysik, und zwar im Besonderen mit Modellen, die Neutrinomassen und Mischungen erzeugen, und wie man dann diese Modelle testen kann.
Durch den experimentellen Nachweis der Neutrinooszillationen, weiß man, dass Neutrinos Massen haben. Im Standardmodell sind die Neutrinos per Definition masselos. Also muss man das Standardmodell erweitern. Das Problem ist nur, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, das zu tun, und fast jede Erweiterung erzeugt Neutrinomassen. Daher tappt man ein bisschen im Dunkeln, probiert alle möglichen Erweiterungen aus und versucht Resultate herzuleiten, die man im Experiment überprüfen kann.


Wissenschaftliche Laufbahn:


Walter Grimus und die Physik:

(Der folgende Text basiert auf einem Interview, das im Juli 2004 geführt wurde)

Wie sind Sie zur Physik gekommen?

In der Unterstufe im Gymnasium hab ich mich eher für Geographie und Naturkunde interessiert, erst in der Oberstufe ist das Interesse mehr auf Chemie, Mathematik und letzten Endes Physik übergegangen. Dafür war sicher ausschlaggebend, dass wir einen sehr guten Physik- und Mathematiklehrer hatten. Außerdem bekam ich das Physikbuch von Westphal geschenkt, das die gesamte Physik behandelt. Es hat mir gefallen, weil ich es schon in der Mittelschule lesen und zum Teil verstehen konnte.

Es war einfach ein allgemeines Interesse für Naturwissenschaften vorhanden. Irgendwie hat es sich dann doch mehr auf Physik und Mathematik konzentriert und ich hab dann in den beiden Fächern maturiert. Ich hab aber gedacht, dass ich für Mathematik nicht gut genug bin, und deshalb hab ich dann Physik zu studieren begonnen.

Was mir an der Physik gefallen hat, war der Aspekt, dass man die wesentlichen Ergebnisse in Formeln aufschreiben kann. Da ich mich auch für Zeichnen sehr interessiert hab – ich hab viel für mich selber gezeichnet – haben mich die Erscheinungsbilder der mathematischen Formeln mit diesen exotischen Zeichen fasziniert. Ich hab manche Formeln schon in der Mittelschule „abgemalt“, z. B. die Maxwellgleichungen, ohne dass ich sie wirklich verstanden hätte.

Welche Fähigkeiten haben Sie mitgebracht - was mussten Sie sich erarbeiten?

Ich glaube, eine Fähigkeit ist eine gewisse Zähigkeit, ich gebe bei einem Problem nicht so leicht auf; außerdem die Neugier bzw. der Wunsch oder der Ehrgeiz, ein Problem zu lösen – ähnlich wie man ein Kreuzworträtsel löst.
Ich kann auch ganz gut mit anderen Leuten zusammenarbeiten, was sich an den vielen internationalen Kollaborationen zeigt; das macht mir ziemlichen Spaß.

Ich hab vom Gymnasium viel mitgekriegt, was mir vor allem am Anfang des Studiums genützt hat. Davon, dass ich gute Physik- und Mathematiklehrer gehabt habe, hab ich echt profitiert.

Wenn man mit dem Studium fertig ist, hat man das Gefühl, dass man im Meer der ganzen Information und dem, was es alles gibt, ertrinkt. Das ist ein bisschen demoralisierend, aber daran muss man sich gewöhnen, das muss man akzeptieren. Es gibt einfach so viele Sachen, die man im Moment nicht versteht. Aber mit der Zeit kriegt man genug Erfahrung, dass man zumindest soweit ist, dass man versteht, worum es geht, auch wenn man die Details nicht versteht.

Nach welchem Motto leben Sie?

Das ist schwierig. Am ehesten „nur nicht untergehen“.

Wie erging es Ihnen während des Studiums?

Damals hat man ein Haupt- und ein Nebenfach gebraucht, und ich hab Physik als Hauptfach und Mathematik als Nebenfach genommen.

Ich hab ziemlich bald viele Leute kennen gelernt. Wir haben zum Teil miteinander gelernt und die Übungen miteinander gemacht, was sehr hilfreich war. Ich hab auch einen „Studienfreund“ gehabt, mit dem ich die ganze Theoretische Physik absolviert habe.

Mir war am Anfang nicht klar, was ich genau machen will, es hat mich alles wahnsinnig interessiert. Ich hab viele Vorlesungen gehört und kolloquiert, hab sehr viel gearbeitet und gelesen. Mir ist dann klar geworden, dass ich in Richtung Theoretische Physik gehen möchte. Ich hab aber noch nicht gewusst, ob ich nicht doch das Lehramt machen sollte, weil die Arbeitsplatzsituation damals auch ziemlich schlecht war. Deshalb hab ich nebenbei auch Physik-Mathematik Lehramt studiert, dieses Studium aber nicht fertig gemacht, weil sich doch die Möglichkeit, in der Theoretischen Physik zu bleiben, ergeben hat.

Wie sind Sie zu Ihrem derzeitigen Arbeitsgebiet gekommen? Wie waren Ihre ersten Erfahrungen mit der Wissenschaft?

Damals gab es noch keine Diplomarbeit, entweder man hat das Doktorat oder das Lehramt gemacht.

Dass ich mich für Theoretische Physik und im Speziellen Teilchenphysik entschieden habe, dazu hat Gerhard Ecker wesentlich beigetragen; er hat damals ein sehr interessantes Seminar geleitet, an dem ich teilgenommen habe. Ich hab dann offiziell die Dissertation bei Professor Pietschmann gemacht, aber Gerhard Ecker war mein wirklicher Betreuer.

Die Dissertation war über „Neutrale Ströme und Neutrinoreaktionen“. Der Dissertationsbeginn war kurz nach der Entdeckung der neutralen Ströme. Damals war noch nicht völlig klar, wie ihre Struktur ausschaut bzw. durch welche Wechselwirkung die neutralen Ströme zustande kommen. Also hat man mehr oder weniger systematische Untersuchungen gemacht, um das festzustellen.

Gerhard war ein sehr guter Betreuer und hat mir ein Thema gegeben, wo man verstanden hat, was zu machen war, und wo man gesehen hat, das es machbar ist. Er hat mich auch sehr gut betreut – man hat immer mit ihm diskutieren können – und dadurch war das nicht so ein Sprung ins kalte Wasser. Es hat dann mit allem drum und dran an die 3 Jahre gedauert. Von den Resultaten meiner Dissertation habe ich ein Papier geschrieben und es in Acta Physica Austriaca veröffentlicht. Später ist diese österreichische Zeitschrift eingegangen.

Es ist zwar nie zur Debatte gestanden die Dissertation aufzugeben, aber es hat schon Phasen mit ziemlichem Frust gegeben, manchmal wochenlang. Wo man dann halt aufs Institut kommt, ein bisserl herummurkst, sich einen Tee macht, mit anderen redet, und schon sind zwei Stunden verplaudert; was aber nichts macht, weil man eh nichts weiterbringt. Meistens ist so etwas passiert, wenn ich etwas nicht verstanden habe oder im Moment überhaupt nicht gewusst habe, wie ich ein Problem anpacken sollte. Irgendwie hab ich dann aber wieder etwas gefunden, entweder durch Lesen der entsprechenden Literatur oder durch eine neue Idee, und dann hat wieder alles funktioniert.

Wie ist Ihre wissenschaftliche Laufbahn weitergegangen ?

Ich hab eigentlich nie den Wunsch gehabt, in die Wirtschaft oder Industrie zu gehen. Für mich war klar, entweder ich kann an der Uni bleiben – nicht bedingt an der Uni Wien – oder ich mach das Lehramt.

Es war damals so, dass eigentlich von den wenigen Leuten, die zäh bei der Sache geblieben sind, die meisten irgendwo eine Stelle gekriegt haben. Bei mir war das anfangs nicht so klar. Nach der Dissertation habe ich am Institut für Radiumforschung ein Projekt gehabt. Aber das war eine meiner frustrierendsten Zeiten, weil ich in dem Thema überhaupt nicht eingearbeitet war und ich kaum unterstützt wurde. Wie mir dann eine Vertretungsstelle am Institut für Theoretische Physik angeboten wurde, habe ich das Projekt sofort aufgegeben und die Vertretungsstelle angenommen.

Ich hab mich auch beim CERN beworben und den Zivildienst zwischendurch gemacht. Und nachdem ich am CERN genommen worden bin, hab ich am Institut für Theoretische Physik eine richtige Stelle bekommen, keine Vertretung. Ich hab die Stelle angenommen und mich karenzieren lassen, um am CERN anzufangen. Das war das Beste, was mir passieren konnte, in so ein Riesenforschungsinstitut zu kommen, mit vielen Leuten zu arbeiten, deswegen wollte ich unbedingt dorthin gehen. Ich glaube, es ist ziemlich gut gewesen, dass ich einmal eine Zeit lang von Wien weggekommen bin, auf mich allein gestellt war und etwas anderes kennen gelernt habe.

Der Aufenthalt beim CERN dauerte zwei Jahre, dann bin ich wieder nach Wien auf meine Assistentenstelle zurück. Diese Stelle konnte man zweimal verlängern, zuerst nach 2 Jahren, dann nach 4 Jahren, womit man noch einmal vier Jahre bekommen hat. Dann war entweder das Ende da oder man musste sich habilitiert haben. Ich hab mich halt in diesen 10 Jahren habilitiert und dadurch die Stelle behalten. Nach der Habilitation konnte man um eine Definitivstellung ansuchen, und das wurde damals automatisch gewährt.

Anfang der 90iger Jahre hatte ich dann einen physikalischen Durchhänger. Ich musste ziemlich viel unterrichten, und meine damaligen Mitarbeiter aus der CP-Verletzung (Gerhard Ecker und Helmut Neufeld) sind in die chirale Störungstheorie abgewandert. Irgendwie wusste ich dann eine Zeitlang nicht, in welchem Arbeitsgebiet ich weitermachen sollte. Im Winter 1995/96 war ich vier Monate als Gastprofessor in Lissabon, wo dann meine Zusammenarbeit mit der Universität Lissabon und Luis Lavoura angefangen hat. Nach meiner Rückkehr nach Wien war Samoil Bilenky Gastprofessor an unserem Institut im Sommersemester 1996. Er und Bruno Pontecorvo hatten lange Zeit zusammengearbeitet. Pontecorvo war der Erfinder der Neutrinooszillationen und zusammen mit Samoil hat er diese Idee weiterentwickelt und bekannt gemacht. Der Wien-Aufenthalt von Samoil hat mich in die Neutrinophysik hineingebracht und wir haben zusammen eine Reihe von Arbeiten geschrieben.

"Ich ganz persönlich"

Die Familie ist mir sehr wichtig. Ich freu mich zu sehen, wie sich mein neunjähriger Sohn Stefan entwickelt, welche Interessen er hat. Familie und Physik sind irgendwie das Wesentliche für mich.

Meine Frau hat mich immer sehr unterstützt, auch wenn ich oft für Konferenzen oder Workshops wegfahren musste. Ich hab auch öfter meine Familie dabei mitgenommen, aber seitdem Stefan in die Schule geht, ist das nicht mehr so einfach.

Sonst gehe ich gern wandern, Rad fahren, ein bisschen laufen; außerdem lese ich gern.

Wandern gehen wir hauptsächlich in Österreich, außer wir sind zufällig im Ausland. Wir haben vor drei Jahren einmal eine Tour mit einem Wohnmobil durch den Südwesten der Vereinigten Staaten gemacht, da bin ich im Grand Canyon gewandert Ich würde gerne noch einmal in diese Gegend, wieder mit einem Wohnmobil herumfahren, aber mir mehr Zeit lassen als vor drei Jahren, da mich besonders die Wüstengegend in Südkalifornien und Arizona reizt. Außerdem würde mich Australien interessieren. Ein mehr realistischer Wunsch wäre, dass ich mehr Zeit hätte, in Österreich wandern zu können.

Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mitgeben auf den Weg, wenn sie Physik studieren wollen?

Wenn sie wirklich Interesse an der Physik haben, dann würde ich sagen, unabhängig von den Aussichten auf einen Arbeitsplatz sollten sie auch Physik studieren. Man kann ja mit 18 oder 19 noch nicht wissen, was man später arbeiten wird, und damit hat man die Jahre vom Studium, in denen man wirklich das macht, was man machen und wissen will. Und irgendwo kommt man als Physiker immer unter, wenn man das Studium abschließt. Von vornherein irgendetwas zu studieren, nur weil man Berufsaussichten hat, aber dabei am Studium keine Freude hat, das würde ich nicht machen.

Wenn sich jemand für Physik interessiert, dann soll er oder sie sich durchbeißen. Man sollte Durchhaltevermögen und eine realistische Einstellung zu den eigenen Fähigkeiten mitbringen. In der Mittelschule gut in Mathematik zu sein, ist nicht alles, das kann man im Studium nachlernen.

Ich würde keinen Unterschied zwischen Burschen und Mädchen machen. Die Naturgesetze und die Physik sind geschlechtsneutral.


Das Interview führten Irene Brunner und Mag. Katharina Durstberger
Projektleitung: Mag. Helga Stadler

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