Christoph Dellago


Aktuelles Arbeitsgebiet:

Mein aktuelles Arbeitsgebiet ist Computational Physics, das nennt man auf Deutsch computerunterstützte Physik. Das bedeutet, dass wir den Computer wirklich als Forschungsinstrument nutzen. Dabei interessiert uns vor allem die statistische Mechanik von komlexen Systemen,  wie Flüssigkeiten, Festkörpern und Nanokristallen.

Man kann unsere Tätigkeit in zwei große Gebiet einteilen: erstens die Methodenentwicklung und zweitens die Anwendung der Methoden auf interessante Systeme. Wir entwickeln vor allem Methoden zur Berechnung von freien Energien fern vom Gleichgewicht und zur Simulation von seltenen Ereignissen.
Chemische Reaktionen oder auch andere Prozesse in der Biologie oder Transportprozesse in der Physik laufen oft auf Zeitskalen ab, die sehr lang sind im Vergleich zu den molekularen Zeitskalen der Vibrationen und der Diffusion. Und das stellt den Computer-Simulator vor größere Probleme. Wir entwickeln Methoden, die es erlauben sich auf die wirklich wichtigen Elemente der Zeitentwicklung zu konzentrieren

Ganz allgemein kann man sagen, dass wir die Gleichungen der Physik mit Hilfe des Computers lösen. Es gibt einige wenige Systeme, wie z.B. den harmonischen Oszillator, für die man die statistisch-mechanischen Gleichungen analytisch lösen kann. Bei komplizierteren Systemen geht das nur mehr numerisch. Dazu brauchen wir große Rechner. Bei uns im Keller steht ein Rechner mit 120 Prozessoren. Den benutzen wir dann in oft wochenlangen, monatelangen Rechnungen um interessante Systeme zu studieren. Dabei interessiert uns immer was auf einer molekularen Ebene passiert, was atomistisch passiert. Wir benutzen quasi den Computer als Mikroskop um tief in die Materie hineinzuschauen.


Wissenschaftliche Laufbahn:


Christoph Dellago und die Physik:

(Der folgende Text basiert auf einem Interview, das im Juli 2004 geführt wurde)

Wie sind Sie zur Physik gekommen?

Das ist eine interessante Frage, auf die ich selbst nicht wirklich eine Antwort weiß. Es gibt bei mir kein singuläres Ereignis, das ich jetzt als Grund anführen könnte. Man hört bei vielen Leuten, ich habe Physik gemacht, weil dieser besondere Lehrer mein Interesse an dem Fach geweckt hat und mich zur Physik geführt hat. Das war bei mir nicht der Fall. Eigentlich müsste ich jetzt – ohne meine Lehrer beleidigen zu wollen – sagen, dass ich trotz meiner Lehrer  Physik studiert habe. Und das Interesse ist langsam gewachsen, war aber schon früh da: ich hatte schon als Kind Interesse für Naturwissenschaften und für Technik und habe viel gelesen, obwohl ich das meiste nicht verstanden habe. Aber das hat mich nicht abgeschreckt. Es war immer mein Wunsch letztlich Physik zu studieren und als Wissenschaftler zu arbeiten.

Welche Fähigkeiten haben Sie mitgebracht - was mussten Sie sich erarbeiten?

Also erarbeiten habe ich mir eigentlich alles müssen. Aber es ist mir nicht besonders schwer gefallen. Für viele Leute ist die Mathematik am Anfang eine Hürde. Das war für mich nicht so. Obwohl mich der ganze Universitätsbetrieb am Anfang schon sehr eingeschüchtert hat. Ich habe gemerkt, dass es in den Vorlesungen Leute gibt, die schon viel mehr können und wissen als ich. Aber ich habe mich nicht abschrecken lassen und mir einfach step by step die Dinge erarbeitet. Die Mathematik war für mich keine besondere Hürde. In den Mathematikvorlesungen ist es ja so, dass man wirklich von Anfang an, also bei Null startet. Insofern hat auch jemand, der in der Schule keine besondere Ausbildung in Mathematik genossen hat, die Chance mitzukommen. Wichtig ist, dass man sich nicht allzu sehr einschüchtern lässt, und dass man von Anfang an voll dabei ist - dann schafft man das. Ich könnte also nicht sagen, die Sachen sind mir leicht gefallen, weil ich das alles schon gewusst habe. Das war bei mir sicher nicht der Fall. Ich habe mit Enthusiasmus angefangen, und das Lernen ist dann recht leicht gegangen.

Wie erging es Ihnen während des Studiums?

So ein Studium anzufangen, das ist schon ein überwältigendes Erlebnis, wenn ich so zurückdenke. Überhaupt wenn man vielleicht zum ersten Mal wirklich von zu Hause weg ist, und in einer großen Stadt. Man kennt sich nicht aus, und man versucht irgendwie mitzukommen. Die Leute sind natürlich schon hilfsbereit, aber am Anfang muss man sich  auch selber orientieren. Da geht man auf die Uni um sich zu inskribieren, und da stehen schon links und rechts Leute und drücken dir Zettel in die Hand. Und du weißt nicht, was du damit sollst, dass du eigentlich alle gleich wegschmeißen kannst. Das weiß man ja nicht am Anfang! Dann inskribiert man und geht in die Vorlesungen, und da sitzen 100, 200 Leute und bis man sich da zurechtfindet, das ist schon nicht so leicht. Man muss ja gleich von Anfang an voll dabei sein, sonst verliert man den Anschluss, und dann fangen die Schwierigkeiten an. Also das ist nicht leicht. Ich sehe auch jetzt bei den Studierenden in meiner Vorlesung, dass sie am Anfang Schwierigkeiten haben sich auf den Universitätsbetrieb einzustellen. Den meisten gelingt es dann relativ gut.

Wie sind Sie zu Ihrem derzeitigen Arbeitsgebiet gekommen? Wie waren Ihre ersten Erfahrungen mit der Wissenschaft?

Die Diplomarbeit habe ich in Aerosolphysik gemacht. Das war eher eine experimentelle Arbeit, und da habe ich schon einiges gelernt. Da ist es um die Bestimmung von Größenverteilungen von Aerosolpartikeln aus optischen Daten gegangen – sowohl wellenlängenabhängige Absorption, als auch winkelabhängige Streuung. Diese Diplomarbeit hatte auch eine wichtige numerische, theoretische Komponente, und das hat mich eigentlich auf die Anwendung des Computers in der Physik gebracht und mein Interesse geweckt.
Nach der Diplomarbeit habe ich auch eine Weile bei Siemens als Software-Entwickler gearbeitet. Aber ich hatte nie die Absicht aus der Wissenschaft auszusteigen. Das war für mich ein Intermezzo. Ich hatte immer vor eine Dissertation zu machen. Ich habe mich umgeschaut, und das Arbeitsgebiet vom Harald Posch hat mich sehr interessiert, weil es Probleme aus der statistischen Mechanik betroffen hat, die mit dem Computer untersucht werden. Die statistische Mechanik hat mich immer schon interessiert. Das Forschungsgebiet von Harald Posch hat also für mich auf ideale Weise diese beiden Gebiete kombiniert. Deswegen habe ich dann Harald  Posch gefragt, ob ich bei ihm Dissertation machen kann. Und er hat gesagt: „Ja, natürlich.“ Es gab dann auch ein entsprechendes Projekt, und das hat es mir schließlich auch ermöglicht meinen Job bei Siemens zu kündigen und wieder voll in die Wissenschaft einzusteigen. Das ist relativ gut gegangen, wir waren recht produktiv und haben zusammen einige neue Sachen gemacht. Es war eine sehr stimulierende Zeit.

Wie ist Ihre wissenschaftliche Laufbahn weiter gegangen?

Nach meiner Dissertation habe ich mich um ein Schrödinger-Stipendium beworben. Das Tolle an einem Schrödinger-Stipendium vom FWF ist, dass man sich den Ort und die Institution, zu der man hin will, aussuchen kann. Da kann man sich die Top-Universität, das Top-Institut aussuchen, wo man wirklich wissenschaftlich profitieren kann. Ich hab mich nach längerem Überlegen und längerer Diskussion mit Posch und auch mit anderen Kollegen, dafür entschieden zu versuchen nach Kalifornien, nach Berkeley zu gehen. Das ist wissenschaftlich eine hervorragende Universität, und außerdem scheint die Sonne oft. Berkeley ist ein intellektuell extrem stimulierender Ort, in einer schönen und interessanten Umgebung. Es ist ja nicht weit weg von San Francisco, auf der anderen Seite von der San Francisco Bay. Das hat es dann auch für meine Frau leichter gemacht mit mir dahin zu gehen.
Wir sind im Dezember 1996 nach Berkeley. Das war auch ein Abenteuer! Vor allem deswegen, weil meine Frau zu dem Zeitpunkt im 5. Monat schwanger war. Im April ist dann mein erster Sohn auf die Welt gekommen. Sich zurechtzufinden und das alles zu organisieren und so weiter, das war schon recht interessant. Da muss ich auch meiner Frau ein großes Lob aussprechen, weil so was schon viel Mut erfordert, und das ist mir erst im Nachhinein klar geworden. Für sie war es vielleicht der größere Wechsel als für mich. Sie hat in der Schule unterrichtet und hat den Job in der Schule aufgegeben und ist mit nach Kalifornien gekommen. Dabei war es ungewiss, ob sie dort was findet, das sie tun kann. Und sie war schwanger, die Geburt ist angestanden. Wir haben das dann aber zusammen, denk ich, ganz gut hin gekriegt. Wir sind also nach Berkeley, und ich bin mit dem Schrödinger Stipendium zwei Jahre lang dort geblieben. Berkeley finanzierte dann noch ein weiteres Jahr. Diese Zeit in Berkeley war für mich wahrscheinlich die wissenschaftlich produktivste Zeit. Als Postdoc hat man schon eine gewisse Erfahrung, ein gewisses Wissen, und man hat die Zeit sich einzulassen auf was Neues; man hat die Zeit sich mit einem Arbeitsgebiet intensiv zu beschäftigen und hat genug Muse um kreativ zu sein. Kreativität erfordert Zeit und eine gewisse Freiheit. Diese Freiheit, die hat man als Postdoc. Wenn man als Stipendiat irgendwo hingeht, mit dem eigenen Geld, dann nimmt einen jeder gern. Berkeley habe ich nichts gekostet. Ich bin dahin gekommen und sie mussten  mir nur einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Deshalb ist man auch in der Situation das zu tun, was man gern tun möchte. Ich habe dort ungemein profitiert, auch durch die Kontakte, die ich mit den Leuten dort hatte. Berkeley ist eine Universität – und da gibt es in Amerika einige – wo wirklich hervorragende Leute sind, sowohl unter den Professoren, als auch unter den Postdoc-Kollegen und den Studierenden. Von der Wechselwirkung mit den anderen Wissenschaftlern, die vielleicht auf einem etwas anderen Gebiet arbeiten, kann man enorm profitieren. Auch die Gruppe habe ich als sehr positiv empfunden. Da ist oft und lange und intensiv diskutiert worden. In derartigen Diskussionen entstehen wirklich neue Dinge. Die Physik wird oft so als Wissenschaft empfunden, wo man viel alleine arbeitet und zurückgezogen im stillen Kämmerlein vor sich hin arbeitet. Es ist aber wichtig, gleichzeitig mit anderen Leuten zu interagieren und in die Diskussion einzusteigen. Dieses Wechselspiel zwischen Diskussion einerseits und zurückgezogener Arbeit andererseits ist extrem wichtig.
Es war eine sehr schöne Zeit. Wir haben oft Ausflüge in der Umgebung von San Francisco mit Freunden von der Universität unternommen. Berkeley ist ja ein Ort, wo man sich sehr leicht eingewöhnt, weil es viele Leute gibt, die in einer ähnlichen Situation sind. Postdocs aus allen Ländern kommen dort hin und verbringen dort ein, zwei Jahre. Die sind alle ungefähr im gleichen Alter, und da findet man leicht Leute, mit ähnlichen Interessen, die auch auf der Suche nach Freundschaften, nach neuen Kontakten, sind.
In Berkeley war ich im Department of Chemistry. Das war meine erste Erfahrung in der theoretischen Chemie. Von Berkeley aus habe ich mich dann an verschieden Universitäten beworben. Ich bekam Angebote von der Rice University in Houston, Texas, und von University of Rochester, da ist im State of New York beim Lake Ontario. Meine Frau war gegen Texas. Wir sind dann nach Rochester gegangen und in Rochester war ich Assistent Professor. Dadurch habe ich das amerikanische Universitätssystem von der Professoren-Seite aus kennen gelernt, was auch sehr interessant und lehrreich für mich war. In Rochester sind wir drei Jahre lang geblieben. Da ist auch mein zweites Kind, die Elisabeth, auf die Welt gekommen.
Als ich in Rochester war, hat sich die Möglichkeit einer Professur in Wien eröffnet. Ich habe mich um diese Professur beworben und das ist dann gut gegangen. Es hat zwar lange gedauert, aber letztlich hat es funktioniert und seit dem 1. Jänner 2003 bin ich in Wien.

Wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?

Also die wissenschaftliche Betätigung beschäftigt mich schon viel: Nicht nur während ich da sitze, sondern das ist eine Sache, die man ständig mit sich herum trägt, an die man ständig irgendwie denkt. Aber natürlich ist die Beschäftigung mit der Familie wichtig - mit meiner Frau und den Kindern. Sonst bin ich gern im Freien. Wenn ich Zeit habe, laufe ich und fahre mit meinem Mountainbike. Ich versuche das wirklich regelmäßig zu tun. In letzter Zeit ist es ein bisserl schwieriger gewesen, aber ich habe vor, das wieder mehr zu tun, weil es ein wichtiger Ausgleich für mich ist. Musik interessiert mich auch, früher mehr als jetzt. Die Musik interessiert mich immer noch, aber wenn man eine Familie hat, dann hat man es oft auch ganz gern still. Wir machen auch mit den Kindern Ausflüge, gehen Bergwandern und schwimmen und Rad fahren und so weiter. Im Winter geh ich gern Skifahren und Langlaufen. Früher war ich viel Langlaufen, hab auch bei zwei Langlauf–Marathons mitgemacht. Von Wien aus ist das alles ein bisschen schwieriger, aber wir machen Skiurlaub, zu Weihnachten und in den Semesterferien.
Ich lese auch ganz gerne, amerikanische Literatur letztlich, weil ich immer gern an die Zeit in Amerika zurückdenke.

Nach welchem Motto leben Sie?

Ein Motto, um Gottes Willen!! Ich habe bewusst kein Motto. Meine Einstellung ist, dass man offen sein muss für Neues, und dass man sich keine Leitlinien zurechtlegen kann. Man muss im Augenblick entscheiden, wohin die Reise gehen soll, und man muss eben offen sein für Neues und bereit sein seinen Weg, seine Richtung zu ändern. Insofern hab ich kein Motto, keine Maxime aus der ich ableiten kann, wie ich mich zu verhalten habe. Das entscheide ich eher spontan im Augenblick.

Welchen Rat würden Sie jungen Menschen, speziell Mädchen oder Frauen, mitgeben auf den Weg, wenn sie Physik studieren wollen?

Ich glaube, ich gebe da den gleichen Rat sowohl den Studentinnen als auch den Studenten. Wichtig ist, dass man mit Enthusiasmus dabei ist, denn das, was man gerne macht, das macht man auch gut. Dass man am Anfang, wie ich schon gesagt habe, sich nicht einschüchtern lässt und sich einfach Schritt für Schritt die Dinge aneignet. Wir arbeiten immer mit einem beschränkten Wissen und mit Ungewissheiten, und wir müssen die Dinge einfach ausprobieren. Ich erlebe es öfter, dass sich Studenten bevor sie in eine Diplomarbeit hineingehen alles anlesen wollen, dass sie alles wissen wollen auf dem Gebiet. Aber so ist es in der Wissenschaft nicht. Das ist auch eine Geisteshaltung, die ich in Amerika sehr bewundert habe. Dass man dort sagt: „Okay so, jetzt probieren wir es einfach. Probieren wir’s, wenn es geht ist’s gut, wenn nicht, probieren wir was anderes!“ Außerdem ist es wichtig, dass man relativ zeitig mit einer Diplomarbeit und danach mit einer Dissertation anfängt und wirklich versucht aktiv die Dinge in die Hand zu nehmen. Und auch versucht kreativ zu sein. Kreativität ist enorm wichtig. Irgendeine Routine-Sache zu machen ist letztlich unbefriedigend. Man sollte versuchen sich selbst einzubringen, und neue Wege zu gehen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und bereit zu sein für Neues.


Das Interview führten Mag. Lisa Fenk und Michaela Platzer
Projektleitung: Mag. Helga Stadler

Links:

Fakultät für Physik an der Universität Wien

Arbeitsgruppe "Computational Physics"

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