TIMSS und COMPED. Studien zur mathematisch-naturwissenschaftlichen und computerbezogenen Bildung.
Konsequenzen in geschlechtsspezifischer Hinsicht.
Broschüre des BMUK (1998).


zum Inhaltsverzeichnis

Bezüge Erklärungen, Probleme

Was besagen andere Studien zu mathematik-, naturwissenschafts- und computerbezogenen Leistungen und Einstellungen der Geschlechter

Zu diesen Fragen liegt eine Fülle von Arbeiten vor (siehe etwa den Überblick in Beerman/Heller/Menacher 1992, der hier zugrunde gelegt ist, wenn nicht andere Untersuchungen zitiert sind). Zusammenfassende Analysen von vor allem aus dem angloamerikanischen Raum stammenden Leistungstests in Mathematik und Naturwissenschaften kommen zu dem Ergebnis, dass summa summarum die Unterschiede zwischen den Geschlechtern eher gering sind. Die Differenzierung nach verschiedenen Merkmalen lässt aber Unterschiede erkennen: Sie nehmen mit der Schulstufe und mit dem Anforderungsniveau zu, und zwar zugunsten der Buben, und hängen zum Teil mit dem Fach bzw. mit den Inhalten zusammen (in Physik sind sie klar am ausgeprägtesten). Zu berücksichtigen ist dabei aber, dass in den angloamerikanischen Schulsystemen Mathematik und Naturwissenschaften nicht unbedingt Pflicht für alle sind, und Mädchen sie eher abwählen. Auch im Computerbereich lässt sich kein durchgängiger, großer Leistungsunterschied aufweisen; wiederum kommt es auf die Aufgabenstellung an.

Werden die Leistungen anders, nämlich mittels Schulnoten erfasst, ändert sich zum Teil das Bild. Im angloamerikanischen Bereich haben dann die Mädchen einen mehr oder minder deutlichen Leistungsvorsprung. Österreichische Erhebungen der Mathematiknoten (Schneeberger/Stagel 1988, Vetricek 1994) zeigen hingegen kaum Unterschiede zwischen den Mädchen und den Buben bzw. keine eindeutigen Tendenzen: Der jüngeren Untersuchung zufolge haben die Mädchen im Gymnasium häufiger die Note eins und drei, die Buben eher zwei und vier, in der HAK erreichen die Mädchen einen etwas besseren Notendurchschnitt, in der HTL die Buben.

Bei den Einstellungen zur Mathematik weisen zusammenfassende Analysen aus dem angloamerikanischen Raum nur in einer einzigen Dimension nennenswerte Differenzen auf: Buben halten Mathematik in viel stärkerem Maß für ein männliches Gebiet als Mädchen dies tun. Ergebnisse anderer Einstellungsuntersuchungen, auch österreichischer (Schneeberger/Stagel 1988, Vetricek 1994), gehen jedoch in dieselbe Richtung wie die von TIMSS. Auch im Bereich der Einstellungen dürfte es aber so sein, dass das Ergebnis von der Fragestellung abhängt. So ergab etwa eine deutsche Untersuchung (Hoffmann/Lehrke 1986) ein deutlich geringeres Interesse der Mädchen an Physik. Aufgegliedert nach Stoffgebieten zeigte sich jedoch, dass dies keineswegs durchgehend so ist. Für Elektronik zum Beispiel stimmt es zwar, aber für Atomlehre oder Optik nicht; und eine Faszination durch Naturphänomene ist bei Mädchen überhaupt mehr gegeben als bei Buben. Auch die generelle Ausrichtung des Unterrichts spielt eine große Rolle: Wenn Aspekte des Verhältnisses Mensch und Natur geklärt werden, Gesellschaftsbezüge oder Bezüge zu Alltagserfahrungen der Mädchen hergestellt werden bzw. wenn der Unterricht eine umfassende, eigenständige Auseinandersetzung mit physikalischen Fragen ermöglicht, dann spricht er die Mädchen besonders an (Häußler/Hoffmann 1990, Muckenfuß 1996, Stadler/Duit 1998). Eindeutig sind die Ergebnisse zur Fähigkeitsselbsteinschätzung: Mädchen zeigen ein geringeres Vertrauen in ihre mathematischen und physikalischen Fähigkeiten. Mädchen haben verschiedenen Untersuchungen zufolge (Horstkemper 1987) überhaupt niedrigere Leistungserwartungen als Buben. Daher schreiben sie Erfolg auch eher äußeren Faktoren wie besonderer Anstrengung oder Glück zu und Misserfolg eher mangelnder Begabung. Buben hingegen aufgrund ihrer höheren Leistungserwartung sehen Erfolg als Ausdruck ihrer Fähigkeiten und Misserfolg als Ergebnis mangelnden Einsatzes oder widriger Umstände.

Auch die Grundtendenz der Einstellungsergebnisse in COMPED wird durch andere Studien bestätigt. Bei männlichen Jugendlichen lässt sich im Vergleich zu weiblichen eine etwas positivere Einstellung zum Computer aufweisen; insbesondere ist der Anteil derer, die eine ablehnende Haltung einnehmen, bei den Mädchen größer. Unterschiede erbrachten Untersuchungen auch beim Interesse am Computer. So ergab eine österreichische Arbeit (Miksch 1992), dass Mädchen zwar weniger gerne Programme schreiben, aber auf jeden Fall den Computer bedienen können möchten und auch die Prinzipien seiner Funktionsweise verstehen wollen. Buben sind hier mehr an technischen Details interessiert. Buben spielen auch häufiger am Computer und bevorzugen andere Spieletypen (Adventures, Kampfspiele) als Mädchen (Haider 1994).

Unterschiede zeigen sich auch in der Einstellung gegenüber der Technik generell. Mädchen bzw. Frauen reflektieren häufiger als Buben bzw. Männer über den gesellschaftlichen Nutzen des technologischen Fortschritts und stehen der zukünftigen Entwicklung, deren Auswirkungen auf das alltägliche Leben und die zwischenmenschlichen Beziehungen skeptischer gegenüber, wobei die Einschätzungsunterschiede mit zunehmendem Alter größer werden (Schiersmann 1987). Das Verhalten in der Praxis ist andererseits aber nicht unbedingt durch Distanz gekennzeichnet. Die Bedienung von technischen Geräten im Alltag in so genannten "weiblichen" Bereichen wie Haushalt oder Büro ist für Frauen keineswegs etwas Außergewöhnliches. Das Reparieren von technischen Geräten oder das Basteln damit ist aber wieder eine Sache der Buben bzw. Männer.

Abschließend sei angemerkt, dass all diese Ergebnisse wohl in ihrem historischen Zusammenhang betrachtet werden müssen, wie der Blick in die Geschichte der EDV lehrt: In den 40iger Jahren, als die ersten Computer entwickelt wurden, arbeiteten Frauen ganz selbstverständlich und erfolgreich als Programmiererinnen, Maschinenoperatorinnen und Problemanalytikerinnen; ja Programmieren bzw. der gesamte Umgang mit Software galt damals als Frauensache. Erst als die Bedeutung der Software zunahm und sich die genannten Tätigkeiten zu eigenen Berufsfeldern ausweiteten, wurden sie zu Männerdomänen.

Wie lassen sich die Leistungs- und Einstellungsunterschiede zwischen den Geschlechtern erklären?

Will man nicht davon ausgehen, dass die beobachteten Unterschiede schlicht "naturgegeben" sind, stellt sich die Frage, wodurch sie zu Stande kommen. Eine eindeutige Antwort darauf kann allerdings nicht gegeben werden. Verschiedene Erklärungsmöglichkeiten bieten sich an. Jede beruht auf einer bestimmten Sicht der Dinge, gleichsam auf bestimmten Grundüberzeugungen und Vorannahmen, die plausibel erscheinen, und aus denen das unterschiedliche Verhalten von Mädchen und Buben schlüssig hergeleitet werden kann, wenn auch nicht immer jeder Aspekt gleich gut. Eine Erklärung mag den einen besonders verständlich machen, eine andere einen anderen. In Summe sind sie aber geeignet, die beobachteten Unterschiede hinreichend zu begründen.

Gemeinsam ist den angebotenen Erklärungsansätzen, dass sie nicht mit biologischen Geschlechtsunterschieden argumentieren. Das Motiv für die Nichtberücksichtigung biologistischer Erklärungsmodelle ist der Konsens darüber, dass die biologische Ausstattung allein nicht ausschlaggebend ist. Auch die VertreterInnen dieser Modelle sprechen von Umweltfaktoren als Ursache. Für die Überlegung schulisch umsetzbarer Maßnahmen zur Veränderung des Status quo ist die Konzentration auf Ansätze, die von einer im Einzelnen wie auch immer gearteten gesellschaftlichen Bedingtheit ausgehen, auch nur sinnvoll. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die in der TIMSS- bzw. in der COMPED-Studie erhobenen Unterschiede als Ergebnis geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Erfahrungen in bzw. mit Mathematik, Naturwissenschaften, Technik und Computer gesehen werden. Mit Blick auf die Grundidee lassen sich zwei Erklärungstypen unterscheiden.

Erklärungstyp: Geschlechtsrollensozialisation

Der eine Typ setzt dabei an, dass Arbeits- und Zuständigkeitsbereiche in unserer Gesellschaft vielfach geschlechtsspezifisch aufgeteilt sind auf der Basis der Geschlechtsrollenvorstellungen. Sie werden gelebt und der nachfolgenden Generation vermittelt. So unterscheiden sich etwa die Erziehungsziele, die für Mädchen und Buben formuliert werden (Faulstich-Wieland 1995): Befähigung zur (offensiven) Auseinandersetzung wird beispielsweise für Buben wichtiger gehalten, Einfühlsamkeit und Flexibilität im Umgang mit Personen hingegen für Mädchen. Im Zuge dieser so genannten "geschlechtsspezifischen Sozialisation" entwickeln die Mädchen und Buben ein Bewusstsein vom eigenen Geschlecht und lernen, als weibliche bzw. als männliche Personen zu handeln. Die Beschäftigung mit Mathematik, Naturwissenschaften und Technik gilt nun als vereinbar zwar mit der männlichen, aber nicht mit der weiblichen Rolle. Diese Vorstellung geht ebenfalls auf verschiedene Art und Weise in die familiäre und schulische Erziehung der Buben bzw. Mädchen ein. Beide Geschlechter sehen, wie Frauen und Männer sich gegenüber diesen Bereichen verhalten, sie nehmen wahr, welche Reaktionen ihr eigenes Verhalten auslöst, integrieren dies in ihr Selbstbild usw. Kurz zusammengefasst: In der Auseinandersetzung mit ihrer jeweiligen Umwelt machen sich die Mädchen und Buben die Geschlechtsrollenvorstellungen in Bezug auf Mathematik, Naturwissenschaften und Technik in mehr oder minder starkem Maß zu Eigen. Verschiedene Daten stützen diesen Erklärungsansatz (siehe etwa wiederum Beerman/Heller/Menacher 1992).

So erhalten Mädchen beispielsweise von den Eltern seltener technisches Spielzeug oder einen Computer geschenkt, und sie werden seltener dazu angeregt, bei Reparaturen mitzuhelfen, zu basteln und sich mit naturwissenschaftlichen und technischen Tätigkeiten zu befassen. In der Schule zeigen sich bei Lehrerinnen und Lehrern Tendenzen, gleiche Leistungen in Mathematik und den Naturwissenschaften bei Mädchen schlechter zu beurteilen als bei Buben oder die Fähigkeiten ersterer zu unterschätzen. Auch auf der Ebene der Kommunikation zwischen Lehrkraft und Schülerinnen und Schülern im koedukativen Unterricht zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede (siehe etwa die Zusammenfassung in Jungwirth 1997). Die Quintessenz der Ergebnisse ist, dass Lehrer/innen sich von sich aus eher an die Buben wenden - sie mehr aufrufen, mehr loben, aber auch mehr tadeln -, aber dass auch die Buben selbst sich am Unterricht mehr beteiligen als die Mädchen dies tun. Auch inhaltlichen Interessen von Mädchen wird oft weniger Raum gegeben.

Die gemeinsame schulische Erziehung, die Koedukation, einst als Mittel zur Emanzipation propagiert, gilt heute überhaupt aufgrund der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, die sie den Mädchen und Buben bietet, als ein wichtiger Faktor für die Entwicklung der relativen Distanz der Frauen zu Mathematik, Naturwissenschaften, Technik und Computer. Als Indizien werden Ergebnisse wie etwa das einer Erhebung unter Studienanfängerinnen in den mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Richtungen an Österreichs Universitäten gewertet, der zufolge überproportional viele Studentinnen (etwas über 20% und damit rund doppelt so viele als im Allgemeinen) eine Mädchenschule besucht hatten (Jungwirth 1993).

Erklärungstyp: Geschlechterkulturen

Der andere Typ von Erklärung geht von der Existenz von historisch entwickelten Geschlechterkulturen aus. Sie zeichnen sich durch jeweils spezifische Wertorientierungen, Problembearbeitungs- und Kommunikationsgewohnheiten aus. Schon die peer groups der Mädchen und Buben, das heißt, die nach Geschlecht getrennten Gemeinschaften Gleichaltriger im Kindheits- und Jugendalter, stellen spezifische soziale Welten dar. Die Struktur des mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereichs bzw. seine soziale Vermittlung in Schule oder Universität entsprechen, so die weitere Annahme, nun nicht der gewohnheitsmäßigen Aneignung und Nutzung von Wissen bei Mädchen bzw. Frauen. Mathematik, Naturwissenschaften und Technik sind, so wie sie geworden sind und sich heute präsentieren, Ausdruck der männlichen Kultur und ihrer Spielregeln. Mädchen bzw. Frauen sind diese fremd, und sie meiden daher Mathematik, Naturwissenschaften und Technik, wenn dies möglich ist.

Natürlich sind auch die Gewohnheiten erworben und insofern ein Produkt der Sozialisation. Der Unterschied zum erstgenannten Erklärungsansatz ist darin zu sehen, dass erstens weniger die Mechanismen der Erziehung (Vorbildwirkung, unterschiedliche Behandlung der Mädchen und Buben usw.) betrachtet werden als das Verhalten der Mädchen und Buben selbst, und dass zweitens nicht die Klischeevorstellungen die mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Fächer zu "männlichen" machen. Wiederum gibt es Untersuchungsergebnisse, die sich in diesem Erklärungsrahmen interpretieren lassen und ihn stützen.

So konnten in einer Untersuchung des Umgangs von Schülerinnen und Schülern mit Algorithmen geschlechtsspezifische Denkgewohnheiten aufgewiesen werden (Schwank 1992). Danach unterscheiden sich Mädchen und Buben in ihren Denkstrukturen und Problemlösungsstrategien. Mädchen tendieren zum so genannten "prädikativen Denken" und dem "begrifflichen Problemlösestil": Mit ersterem ist gemeint, dass Mädchen eher Beziehungen zwischen Gegenständen herstellen und Urteile fällen; bei der Problembearbeitung beginnen sie mit einer Analyse, strukturieren das Problem und versuchen, es in einen Kontext einzubetten. Buben hingegen neigen zum "funktionalen Denken" - sie sehen eher Abläufe und das Ineinandergreifen von Wirkungen -, und ihr Problemlösestil ist der "sequenzielle": Sie gehen Schritt für Schritt vor und erhalten ihre Lösung durch Analyse und Weiterentwicklung von Teillösungen. Betrachtet man nun die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer und den Umgang mit dem Computer auf passende Arten zu denken und vorzugehen, so deutet vieles darauf hin, dass in Physik und beim Umgang mit dem Computer weitgehend und in Mathematik zum Teil funktionales Denken und ein sequenzieller Problemlösestil von Vorteil sind.

Zum anderen sind unter diesem Erklärungsansatz auch Kommunikationsanalysen zum Mathematik- und Informatikunterricht anzuführen (Jungwirth 1997). Dort ließen sich mädchen- und bubenspezifische Praktiken der Beteiligung am Unterricht beobachten, wobei den Mädchen diejenigen, die eine erfolgreiche Teilnahme am üblichen fragend-entwickelnden Unterricht ermöglichen, offenbar weniger zur Routine geworden sind als den Buben. Mädchen handeln daher immer wieder quer zu den Erwartungen. Beispielsweise achten sie bei Fehlerkorrekturen weniger als Buben auf lenkende Hinweise der Lehrkraft, sondern neigen dazu, ihren eigenen Weg zu gehen - mit dem Effekt, dass aus solchen Interaktionen viel eher als bei Buben der Eindruck von Nichtwissen bzw. Nichtverstehen resultiert. Im Informatikunterricht wurde außerdem beobachtet, dass Mädchen, wenn ihnen in einer Gruppenarbeit die Vorgangsweise freigestellt ist, dazu tendieren, von der sonst im Unterricht gerne praktizierten Art des Programmierens am Computer durch Probieren verschiedener Eingaben abzugehen und sich stattdessen vorher ohne Computer Grundideen zurechtzulegen oder sinnstiftende Zusammenhänge zu konstruieren.

Inwiefern sind die beobachteten Leistungs- und Einstellungs-Unterschiede ein Problem?

Auch in dieser Frage können verschiedene Positionen eingenommen werden.

Zum einen gelten eine distanziertere Haltung und schwächere Leistungen bei Mädchen deswegen als ein Problem, weil sie nicht der angenommenen Unabhängigkeit der (geistigen) Fähigkeiten und Neigungen vom Geschlecht entsprechen. Eigentlich dürfte es in dieser Hinsicht nur individuelle Unterschiede geben, aber nicht welche zwischen den Mädchen und Buben. Die Geschlechter werden in dieser Sicht nur als physisch verschieden betrachtet, Unterschiede auf anderen Ebenen haben äußere Ursachen, denen nachzugehen ist.

Die andere Position ist, eine prinzipielle Differenz auch im Geistig-Emotional-Moralischen anzunehmen. In der traditionellen Sprechweise meint das, dass von "Geschlechtscharakteren" ausgegangen wird, die ein Naheverhältnis zu bestimmten Sachgebieten und Tätigkeiten je nach Geschlecht bewirken. In dieser Sicht sind die aufgewiesenen Unterschiede dann Ausdruck der natürlichen Gegebenheiten; Problem besteht keines. Es gibt aber auch eine moderne Version dieses Standpunkts, die anders argumentiert. Wenn Mädchen bzw. Frauen sich dem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereich nicht so zuwenden wie Buben bzw. Männer oder dort weniger leisten, ist dies aus mehreren Gründen schon ein Problem, aber es liegt daran, dass dieser Bereich historisch von Männern eben - siehe die Annahme einer grundsätzlichen Geschlechterdifferenz - ihrer männlichen Weltsicht gemäß entwickelt wurde.

Egal, wo nun die Geschlechterdifferenz im Einzelnen verortet wird, die Leistungen und noch viel mehr die Einstellung der Mädchen gelten oft aus folgendem Grund als problematisch: Sie werden als wichtige Ursache dafür betrachtet, dass Mädchen seltener eine Ausbildung mit Schwerpunkt im mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereich anstreben oder einen einschlägigen Beruf ergreifen. Das eigentliche Problem sind genau diese Gegebenheiten, wobei im Einzelnen unterschiedlich argumentiert wird.

Zum einen wird die Notwendigkeit der Veränderung von Naturwissenschaften und der Technik selbst angeführt. Diese Wissenschaften spiegelten heute typisch männliche Denk- und Verhaltensmuster wider - wie den Hang zur Scheinobjektivität, oder Macht- und Herrschaftsstreben, was sich am Drang zu gewalttätigen Eingriffen in die Natur, dem Machbarkeitswahn und der Vernachlässigung der Nebenfolgen zeige (vgl. etwa Hickel 1993). Eine stärkere Beteiligung von Frauen würde dazu führen, dass sich typisch weibliche Qualitäten in den Strukturen und Arbeitsweisen dieser Wissenschaften niederschlagen und sie und ihre Anwendungsbereiche positiv verändern.

Weiters gilt die relative Distanz der Mädchen bzw. Frauen zum mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereich als Problem wegen dessen Bedeutung für das politisch-öffentliche Leben. Mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Kompetenz stellt heute insofern eine allgemeine politische Kompetenz dar, als Methoden, die sich am naturwissenschaftlich-technischen Weltbild orientieren, in immer mehr Bereichen der Gesellschaft als Planungs- und Entscheidungsgrundlage fungieren. Da Frauen ebenso wie Männer zu politischer Mitsprache aufgerufen sind, ist es erforderlich, dass sie ebenso wie diese mit jenen Methoden vertraut sind.

Noch ein anderes Argument setzt beim Brachliegen mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Begabungsressourcen an. Zur Sicherung des Lebensstandards bzw. zu dessen Hebung in weiten Teilen der Erde sei es volkswirtschaftlich notwendig, diese auszuschöpfen. Frauen mit ihrer noch geringen Beteiligung an mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Ausbildungs- und Studiengängen stellen ein großes noch zu nützendes Potenzial dar.

Der Hauptgrund aber, dessentwegen das Verhältnis der Mädchen bzw. Frauen zum mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereich als Problem angesehen wird, ist die Lage am Arbeitsmarkt. Wenn Frauen über keine bzw. über keine ausreichende Ausbildung in diesem Gebiet verfügen, bleibt ihnen der Zugang zu immer mehr Berufen verschlossen und ihre Chancen auf eine qualifizierte Erwerbsarbeit sinken. Diese Position mag als unbezweifelbar gelten, trotzdem sei angemerkt, dass mangelnde mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Qualifikation zwar sicherlich eine Ursache für die relativen Nachteile ist, die Frauen am heutigen Arbeitsmarkt haben, sie ist aber nicht die einzige. Umgekehrt lässt sich also sagen, dass mehr Qualifikation in diesem Bereich wohl günstig ist, aber keineswegs ein Garant für bessere berufliche Möglichkeiten der Frauen.